Physikalische Medialität: zu unglaublich? von Prof. Dr. Eckhard Kruse

von Eckhard Kruse

17. Februar 2016

Wenn ich früher gelegentlich Berichte über «Physikalische Medialität» hörte, von Séancen in völliger Dunkelheit, körperlosen Stimmen Verstorbener, «Ektoplasma» und Dingen, die aus dem Nichts erscheinen

oder von Geisterhand in der Dunkelheit herumgewirbelt werden, dann ging es mir wie wohl den meisten Menschen: Bei so viel Unglaublichem zuckte ich nur mit den Schultern. Was soll das denn, kann ja wohl nicht sein, damit muss ich mich nun wirklich nicht beschäftigen?! In den letzten Monaten hatte ich die Gelegenheit, drei derartige Séancen selbst mitzuerleben, und ich bin mittlerweile überzeugt, es lohnt sich, diese Phänomene genauer anzuschauen.

Wahrheit oder Täuschung? Ein endloser Streit
Keine Sorge, ich möchte nicht versuchen, Sie von der Echtheit solcher Phänomene zu überzeugen. Immerhin hat die Erforschung von Physikalischen Medien eine mehr als hundertjährige Geschichte, in der sich trotz vieler ernsthafter Bemühungen eines nicht geändert hat: Überzeugte Befürworter und Gegner prallen nach wie vor heftig aufeinander. Wo die einen solide wissenschaftliche Belege für die Existenz der Phänomene sehen, finden die anderen stets einen Grund, um die gesamte Argumentation in Frage zu stellen und alles als Betrug zu sehen. Dabei finden sich unter den Befürwortern durchaus ernstzunehmende Forscher, die jahrelang akribisch an Methodik und Experimenten gefeilt haben, um möglichst wasserdichte Beweise vorzulegen.

So hat etwa der Arzt Freiherr von Schrenck-Notzing bereits 1914 umfangreiche Forschungen über «Materialisationsphänomene » veröffentlicht und war zuversichtlich, damit jegliche Zweifel beiseite räumen zu können und insbesondere die Existenz von Ektoplasma zu belegen, jener feinen, meist weisslichen Substanz, die aus den Körperöffnungen von Medien ausströmt, ein Eigenleben entwickeln kann und schliesslich sogar die Gestalt von Händen, Gesichtern oder ganzen Menschen annehmen soll. Auch noch ein knappes Jahrhundert später, etwa im 1999 veröffentlichten Scole Report waren die Forscher wieder einmal überzeugt, den Zweiflern keine Gegenargumente mehr zu lassen, nachdem zum Beispiel unbelichtete, zuverlässig in Kisten eingeschlossene Filme nach der Séance bei der Entwicklung Botschaften, Gedichte oder gar technische Skizzen zeigten.

Doch bis heute reicht keines der Forschungsergebnisse aus, um Skeptiker zu überzeugen – was allerdings bekanntermassen auch für Homöopathie, energetisches Heilen, Telepathie, die Bedeutung von Nahtoderfahrungen und vieles andere gilt. Damit sind wir mittendrin im allgegenwärtigen Thema, dass vorgefasste Meinungen, Dogmen und das herrschende Weltbild unsere Wahrnehmung, unsere Vorstellungen und auch die Forschung beeinflussen. Vermutlich wird nicht einmal der beste 1000-seitige Forschungsbericht Menschen von Phänomenen überzeugen, die einfach nicht in ihr Weltbild passen. Statt über wahr oder falsch zu diskutieren, möchte ich von meinen Erlebnissen berichten und wie mein Verstand sie einzuordnen versucht. Vielleicht kann ich Sie ein wenig neugierig machen, so dass das Thema auch in Ihr Blickfeld rückt oder Sie gar selbst einmal eine physikalische Séance besuchen möchten. Eigene Erfahrungen sind bekanntlich die beste Grundlage für die Bildung einer eigenen Meinung.

Phänomene in physikalischen Séancen
Bei aller Verschiedenheit der Erscheinungen in der Geschichte des physikalischen Medialität gibt es doch typische Merkmale von Séancen und Phänomene, die sich ähneln. So stelltdas Medium meist in völliger Dunkelheit in einem Trance-Zustand Kontakt zu Verstorbenen  oder anderen «geistigen Wesen» her,so dass diese Botschaften durchgeben, auf verschiedene Weise ihre Anwesenheit zeigen  oder auch «Experimente» durchführen, um
die Existenz der jenseitigen Welt zu demonstrieren und ihren Einfluss auf unsere physikalische Realität.

Ich hatte die Gelegenheit, beim Basler Psi-Verein an Séancen von Kai Mügge (DE), Mychael Shane (USA) und Warren Caylor (UK) teilzunehmen. Bei allen drei Medien waren vielfältige Phänomene zu erleben, dabei waren von den jeweiligen «geistigen Kontaktpersonen» Botschaften zu hören und es ergab sich mitunter ein (oft schlagfertiger und humorvoller) Dialog mit den Teilnehmern. Ich möchte einiges herausgreifen, was mich beeindruckte und wo ich keine Vorstellung habe, wie es sich mit Tricks und Betrug erreichen liesse.

Bei Kai Mügge haben mich besonders die Ektoplasma-Phänomene fasziniert. Im schwachen Rotlicht, das auf Weisung des jenseitigen «Hans Bender» an- und ausgeschaltet wurde, konnten die Geschehnisse beobachtet werden. Aus Kais Mund strömte eine feine, weissliche Substanz und sank zu Boden, wo sie sich rund einen Meter vor meinen Füssen zu einem kissengrossen Haufen ansammelte, der langsam und organisch vor sich hin waberte. Nach und nach wuchsen erst einzelne Finger, dann schliesslich eine Hand daraus hervor und bewegten sich langsam und sehr natürlich wirkend. Unten eine Darstellung, wie ich die Wahrnehmung erinnere.

Bei Mychael Shane fand ein Teil der Séance bei normaler Beleuchtung statt. Nachdem er eine Weile gesprochen hatte, wurde sein Mund mit Klebeband verschlossen und die Position mit Filzmarkern auf dem Gesicht markiert. Arme und Beine waren am Stuhl fixiert. Der Vorhang des Kabinetts (einer bei Séancen üblichen «Dunkelzelle» für das Medium) wurde geschlossen und nach einer Weile signalisierte Mychael grunzend durch den zugeklebten Mund, es gehe los. Der Vorhang würde geöffnet, die Fixierungen gelöst, so dass Mychael aufstehen konnte. Nach dem Lösen des Klebebands strömten aus seinem Mund innerhalb weniger Sekunden mehrere Dutzend kleinerer, etwa erbsengrosser Steine (s. Beispielfoto), aber auch grössere, insbesondere zwei ungefähr walnussgrosse Steine.

Warren Caylor konnte ich in einer privaten Séance am Basler Psi-Verein kennenlernen. Die «Spirits» waren als körperlose Stimmen zu hören, die sich in deutlichem Abstand vom Medium im Raum bewegten, um mit einzelnen Teilnehmer zu sprechen, und mir so auf vielleicht einen halben Meter nahe kamen. Nach längerem Gespräch mit «Yellow Feather » traten nacheinander fünf weitere Charaktere stimmlich in Erscheinung. Besonders beeindruckte mich «Luther» mit einer donnernden Stimme aus geschätzt zwei Metern Höhe, die durch imposantes Fussstampfen begleitet wurde: ein Klangerlebnis, für dessen Vortäuschung wohl weder Medium noch Teilnehmer über geeignete Stimmen bzw. Schuhe verfügten.

Doch selbst wenn Warren tatsächlich das Schauspieltalent besässe, so unterschiedliche Charaktere vom Klang der Stimme, Sprachduktus und der Persönlichkeit her derart lebendig, humorvoll und schlagfertig vorzuspielen, bliebe die Frage, warum er sich dann nicht einfach auf Comedy-Bühnen als Künstler feiern liesse. Vielleicht noch erstaunlicher war für mich, wie sich, während «Yellow Feather» sprach, in der Dunkelheit eine schwache Lichtwolke bildete, seitwärts bewegte, über dem Boden aufstieg, sich wieder auflöste, neu entwickelte und dann zu Händen und Armen ausformte. 

Schliesslich war ein vollständiger, schwach leuchtender Oberkörper mit Armen und Händen zu sehen, die auf natürliche Weise gehoben wurden, als wollte sich «Yellow Feather» in ganzer Pracht zeigen. Auch hier eine Abbildung auf Basis meiner Erinnerung (siehe rechts).

Was soll ich damit anfangen? Während der Séancen war mein Verstand wie alarmiert und machte sich eifrig, aber vergeblich daran, konventionelle Erklärungen für das Erlebte zu suchen. Raffinierte Zaubertricks mit unsichtbaren Fäden und Beamerprojektion? Kollektive Halluzination aller Teilnehmer unter unbewusster Hypnose? Helfer unter den Sitzern, alle sind eingeweiht, nur ich bin der Dumme?

Diese und viele weitere Fragen stellen sich Forscher, die derartige Phänomene untersuchen, schon seit langem und oft gehen die Medien auf Bedenken ein und lassen vielfältige Kontrollen zu, um herkömmliche Erklärungen und Betrug auszuschliessen, wie etwa das Festbinden oder Festhalten auf dem Stuhl, die vorherige Durchsuchung der Räume, der Medien, ihrer Kleidung und manchmal sogar ihrer Körperöffnungen.

Ich bin hier nur wenig auf die Randbedingungen eingegangen und habe im Sinne der Lesbarkeit auch auf manches «meiner Wahrnehmung nach» verzichtet, das in einem Forschungsbericht dazugehören würde. Entsprechende Studien können mit der Beschreibung der Kontrollen und der Abwägung eventueller Lücken viele Seiten füllen – und am Ende ist man sich doch nicht einig. Daher hier nur kurz meine persönliche Einschätzung: Bei allen Séancen gab es Phänomene, bei denen ich mir prinzipiell (ohne allerdings zu wissen, wie) vorstellen könnte, sie liessen sich mit Tricks hervorrufen. Es gab aber auch jedes Mal Phänomene, bei denen ich auch mit reichlich Fantasie kein Schlupfloch für Betrug oder Täuschung sah. Die Parapsychologen, denen es oft ähnlich geht, ziehen daraus mitunter erstaunlich unterschiedliche Schlüsse: Manche sind überzeugt, dass an den Phänomenen etwas dran sein muss, andere folgern, wenn auch nur eine Sache Betrug sein könnte, dann muss alles Betrug sein.

Verstand versus Wahrnehmung
Ein guter Umgang mit diesem Dilemma erscheint mir, sich mit schnellen Schlüssen zurückzuhalten und erst einmal weiter ganz genau hinzuschauen. So geniesse ich demütiges Staunen und übe mich darin, eine unglaubliche Beobachtung anzuerkennen, ohne eine (ins vorherrschende Weltbild passende) Erklärung dafür zu haben. Genau das scheint mir ein perfektes Wissenschaftler-Training zu sein: Denn wer Beobachtungen, die (noch?) unerklärlich sind, nicht aushalten kann, riskiert, anfällig zu werden für zu einfache Erklärungen («alles Quatsch, alles Lug und Betrug ») oder gar für Dogmen («Wer sich damit beschäftigt, ist kein ernstzunehmender Wissenschaftler »).

Dass Wissenschaftler so oft die Untersuchung des Paranormalen scheuen, liegt wohl gerade an dieser Angst, möglicherweise Täuschung oder Betrug aufzusitzen und dann als dumm dazustehen. Doch ist es nicht viel dümmer und unwissenschaftlicher, sich einem Forschungsgebiet aus Angst vor dem Scheitern pauschal zu verweigern? Wenn Wissenschaft nur das untersuchte, wo Erfolg gewiss ist, bliebe nicht viel Neues zu entdecken. Es geht nicht darum, auf alles eine Antwort zu haben, sondern dort, wo die Antworten noch nicht gut sind, genau hinzuschauen.

Doch nicht nur für die Wissenschaft, sondern für uns alle könnte es in unserer verkopften Welt eine wunderbare Übung sein, den selbstbewussten, mitunter überbewerteten Verstand mit seinem vermeintlich sicheren Wissen gezielt in eine hilflose Lage zu bringen, wo es erst einmal um das reine Erleben und Wahrnehmen geht – und damit letztlich auch Physikalische Medialität: zu unglaublich? von Eckhard Kruse darum, Gefühl und Herz zu stärken für einen offenen, umfassenden Blick auf die Welt.

Vielleicht lassen sich auch neue Türen zur Erforschung der physikalischen Medialität öffnen, wenn man nicht an der ewig strittigen Standardfrage «echt oder Täuschung?» kleben bleibt.

Selbst für den überzeugten Skeptiker sollte sich ein genauerer Blick lohnen: Hier lässt sich die heutige Forschungsmethodik mit ihren strengen Forderungen nach Messbarkeit, Wiederholbarkeit, Kontrolle usw. auf den Prüfstand stellen; man kann die Mechanismen von Glaubenskriegen – die wir global ja mit katastrophalen Folgen erleben – in einem thematischen Mikrokosmos untersuchen, wo sie sich zwar gewaltfrei, aber durchaus gehässig und irrational abspielen; es gibt viele interessante Querbezüge zu Bewusstseinsforschung und Ritualforschung; und man könnte einfach einmal mutig in Physik, Biologie und Psychologie darüber spekulieren, ob (wo?) die Phänomene tatsächlich so ein Problem für unser Weltbild wären, wie reflexartig behauptet wird. Im Text «Sieben Gründe Physikalische Medialität zu erforschen – selbst wenn man sie für Quatsch hält» (Psi-Info 34 oder auf www.bpv.ch) gehe ich detaillierter darauf ein.

Menschen, Medien, Misstrauen
Menschen mit medialen Fähigkeiten geniessen in weiten Teilen unserer Gesellschaft ein Ansehen, das wohl irgendwo zwischen Enkeltrick-Betrügern und Haustürgeschäftemachern rangiert. Dass sie sich dennoch mit ihren Fähigkeiten öffentlich zeigen, könnte man schon fast als Indiz ihrer Rechtschaffenheit nehmen.

Warren Caylor etwa teilte mir im persönlichen Gespräch mit, dass er in England mindestens sechs, sieben Gruppen kenne, die aufgrund möglicher öffentlicher Anfeindungen ihre physikalische Medialität ausschliesslich im Privaten praktizieren. Ich finde das sehr bedauerlich! Dabei will ich keineswegs sagen, dass ein gesundes Misstrauen nicht nützlich wäre. Aber wenn es darum geht, dass uns Menschen aus Eigeninteresse mit viel Trickserei falsche Realitäten vorspielen, uns manipulieren wollen, und wir ihnen, obwohl ihre Lügen regelmässig aufgedeckt werden, unser Wohl anvertrauen, dann sollten wir vielleicht vor allem bei Politikern genauer hinschauen.

Mir persönlich erscheint etwa die Behauptung, permanentes Wirtschaftswachstum soll auf einem begrenzten Planeten unsere globalen Probleme lösen, deutlich absurder – und sogar physikalisch unsinniger – als die Vorstellung der Existenz einer geistigen Welt.

Im Gegensatz zu vielen Politikern und anderen Profis der Selbstinszenierung habe ich Kai Mügge, Mychael Shane und Warren Caylor übrigens als sehr authentisch, warmherzig und bodenständig erlebt. Ich konnte alle drei auch abseits ihrer Séancen persönlich kennenlernen und da war keinerlei Unterschied zwischen «öffentlicher Darstellung auf der Bühne» und privatem Austausch.

In den Gesprächen untereinander zeigten sie ernsthaftes Interesse an der Arbeit der anderen und es schien eine Selbstverständlichkeit, dass es um echte Phänomene ging, etwa wenn Kai begeistert Fotos von Mychaels Apporten machte (Zauberkünstler würden wohl kaum gegenseitig ihre weissen Kaninchen fotografieren) oder als sich Warren sichtlich berührt in Mychaels Séance mit «Lady Nada» unterhielt.

Im persönlichen Gespräch fragte ich Warren, ob er echte von unechten Medien unterscheiden könne. Ja, sofort. Kai und Mychael seien echt, wie er zum Beispiel an den Spirits neben Mychael während der Séance erkennen konnte. Man könnte fast darüber schmunzeln: Da bemühen sich stolze Parapsychologen mit jahrelangem Eifer und Ringen, die Echtheit von Medien zu überprüfen, dabei kann es doch so einfach sein, wenn man einmal die Perspektive wechselt: Man muss nur jemanden fragen, der sich wirklich mit dem Thema auskennt…

Neugierig?
Ich vermute, auch in Zukunft wird es für die Phänomene der Physikalischen Medialität keine einfachen, pauschal gültigen Erklärungen geben. Doch es wäre vielleicht schon viel erreicht, wenn das Thema eine breitere, unbefangene Aufmerksamkeit bekäme. Es gab immerhin Zeiten, da haben Berühmtheiten wie Thomas Mann Séancen besucht und öffentlich davon berichtet, und ich sehe es als Chance, unser Denken ordentlich aufzumischen – wenn man sich auf das eigene Erleben einlässt. Ich selbst freue mich darauf, weitere Séancen besuchen, um diese erstaunliche Welt näher kennenzulernen.

Dank
Herzlichen Dank an Lucius Werthmüller vom Basler Psi-Verein für interessante Diskussionen und die Möglichkeit, die Medien persönlich kennenzulernen und an einer privaten Séance von Warren Caylor teilzunehmen.


Über Eckhard Kruse

Prof. Dr. Eckhard Kruse studierte Informatik mit Anwendungsfach Physik und promovierte auf dem Gebiet der Robotik und Bildverarbeitung. Er arbeitete acht Jahre in der industriellen Forschung als Wissenschaftler und Manager. Seit 2008 ist er Professor für Angewandte Informatik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Sein klassisch wissenschaftliches Weltbild hinterfragte und erweiterte er im Laufe der Jahre aufgrund vielfältiger persönlicher Erfahrungen und Begegnungen mit inspirierenden Menschen aus verschiedensten Bereichen der Spiritualität. Er ist Autor des Buches Der Geist in der Materie – die Begegnung von Wissenschaft und Spiritualitätwww.eckhardkruse.net

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