Das Geheimnis gesunder Gehirnzellen
von Alberto Villoldo
23. Juni 2016
Neurowissenschaftler David Perlmutter und der medizinische Anthropologe und Schamane Alberto Villoldo sind zusammengekommen, um die lange Zeit getrennten Gebiete von Wissenschaft und Spiritualität zu vereinen:
neurowissenschaftliche Erkenntnisse kombiniert mit schamanischer und spiritueller Praxis.
Die wirkungsvollsten Methoden beider Richtungen sind in dem Programm „Power Up Your Brain“ zusammengetragen, das es jedem Menschen ermöglichen soll, die Voraussetzungen für die eigene Erleuchtung zu schaffen.
Kann die Neurowissenschaft die Versprechen der Religion erfüllen, die Freiheit von Leiden, Gewalt, Armut und Krankheit? Kann uns die Neurowissenschaft ein Leben bescheren, in welchem Gesundheit, Frieden und Fülle herrschen?
Die Ansprüche der Weltreligionen sind so universell, dass es scheint, als wäre die Sehnsucht nach Glück, innerem Frieden und Wohlbefinden in unserem menschlichen Gehirn verankert und habe sich zu einem sozialen Instinkt entwickelt, der so mächtig ist, die Fähigkeit zur Co-Schöpfung anzutreiben. Sowohl die Bibel als auch der Koran und die buddhistischen und hinduistischen Schriften lehren uns, wie man einen paradiesischen Zustand erreichen kann – entweder nach dem Tod, am Ende der Zeit, infolge vieler Reinkarnationen oder als Ergebnis von persönlicher Anstrengung und Verdienst. Dieser Zustand der Befreiung wird in den christlichen Traditionen als Gnade oder Himmel bezeichnet, bei den Moslems als Paradies, während die östlichen Traditionen dies Erweckung oder Erleuchtung nennen und hierfür verschiedene Bezeichnungen haben wie „Samadhi“, „Mukti“, „Bodhi“, „Satori“ und „Nirvana“.
Aber was wäre, wenn Gnade, Samadhi und Erleuchtung jedoch in Wirklichkeit auf biologischer Wissenschaft gegründet wären? Was wäre, wenn diese Zustände einer höheren Ordnung und Vielschichtigkeit wären, geschaffen von programmierbaren Schaltkreisen im Gehirn?
Was, wenn diese Schaltkreise es ermöglichen würden, lebenslanges Glück, inneren Frieden, Gesundheit und Wohlbefinden zu erreichen und zwar jetzt, in dieser physischen Welt und nicht in irgendeiner fernen Zukunft oder nach dem Tod?
Das Gehirn und die Erleuchtung
Wonach streben wir mit all der ausgedehnten Kraft unseres Gehirns? Im Osten wurde Erleuchtung traditionellerweise mit Qualitäten wie Großzügigkeit, Mitgefühl, friedlicher Akzeptanz verbunden sowie der Erfahrung des Einsseins mit der gesamten Schöpfung. Im angespannten, individualistischen Westen haben wir von Erleuchtung eher die vage Vorstellung, die Welt so zu akzeptieren, wie sie ist, oder zu entdecken, wie wir sie zum Besseren verändern können. Erleuchtung schließt für uns außerdem das übliche Verlangen nach Neuem, Entdecken und Kreativität ein, wie es von den Entdeckern, die ins All fliegen, verkörpert wird.
Wenn wir die östlichen Qualitäten der Erleuchtung aus dem religiösen Kontext herausnehmen und sie in Bezug zur biologischen Wissenschaft setzen, dann stellen wir fest, dass es Eigenschaften gibt, die mit der Ansteuerung des präfrontalen Kortex verbunden sind, dem neuesten Teil unseres menschlichen Gehirns.
Bei Kernspinuntersuchungen zeigte sich, dass Personen, die regelmäßig meditieren, Gehirne entwickelt haben, die anders vernetzt sind als die Gehirne von Personen, die nicht meditieren. Sie sind besser in der Lage, ruhig und stressfrei zu bleiben, in Frieden zu leben und Mitgefühl zu empfinden. Interessanterweise ist ihr präfrontaler Kortex die aktivste Region ihres Gehirns während der Zustände, die sie als Samadhi oder Erleuchtung bezeichnen. Seine Heiligkeit der Dalai Lama beschreibt Erleuchtung als „einen Zustand der Freiheit nicht nur von kontraproduktiven Emotionen, die den Prozess einer zyklischen Existenz unterhalten, sondern auch von allen Prädispositionen, die der Verstand durch diese betrübenden Emotionen gebildet hat“.
Der Dalai Lama suggeriert, dass Erleuchtung ein Zustand der Freiheit von destruktiven Emotionen ist, von limitierenden Glaubensgrundsätzen und sich wiederholendem Verhalten, geschaffen durch diese Emotionen.
Edelmut und Mitgefühl zeigen sich nur, wenn der präfrontale Kortex in der Lage ist, die mehr prähistorischen Regionen des Gehirns zu drosseln. Damit der präfrontale Kortex funktionelle Bahnungen für Freude und Friede schaffen kann, müssen der gesamte Körper und das Gehirn gesund sein, brauchen beide passende Nährstoffe und eine geschulte innere Disziplin. Wir müssen also unseren Körper und unseren Verstand heilen, um den präfrontalen Kortex zu stärken – dieses neue Gehirn, welches biologisch programmierbar ist für Glückseligkeit, außergewöhnlich langes Leben, Frieden und Regeneration. Für zu lange Zeit wurde diese Gehirnregion offline gehalten, ruhig gestellt von denselben Kräften – Mangel, Gewalt und Trauma – von welchen es uns zu erlösen verspricht.
Wenn diese neue Region des Gehirns online geschaltet wurde, dann ist Gehirn-Synergie möglich. Synergie bedeutet, dass das Ganze größer ist als die Summe seiner Teile. Ingenieure sind vertraut damit, wie Synergie funktioniert. Die Festigkeit von Edelstahl zum Beispiel ist nahezu zehnfach größer als die Festigkeit von Eisen, obwohl Edelstahl grundsätzlich Eisen, versehen mit einer winzigen Menge an Kohle, ist. Kohle und Eisen, einzeln betrachtet, sind spröde und blättern leicht ab. Aber wenn beides kombiniert wird, dann entsteht daraus ein außergewöhnlich starkes Material.
Gehirn-Synergie bezeichnet einen Neurocomputer, dessen Schaltkreise alle aktiviert und auf der richtigen Wellenlänge sind und zusammenarbeiten, jede Region ihre Funktion bedienend – ungefähr so, wie das Herz für die Blutzirkulation sorgt, während die Lungen sich um die Atmung kümmern – ein System schaffend, das nicht über die einzelnen Bestandteile definiert oder noch nicht einmal beschrieben werden kann.
Verstärkung von toxischen neuralen Bahnungen und unterbewusste Überzeugungen
Neurale Netzwerke sind eine plastische, dynamische Architektur, eine Konstellation von Neuronen, die augenblicklich aufleuchten, um eine spezielle Aufgabe auszuführen. Deshalb, wenn du über einen bestimmten Gedanken (gut oder schlecht) grübelst oder eine bestimmte Aktivität (nützlich oder schädlich) ausübst, verstärkst du dieses neurale Netzwerk, das mit diesem Gedanken oder diesen Fähigkeiten in einer Wechselbeziehung steht.
Jedes Mal, wenn dich eine Situation an eine tatsächlich angstvolle oder gefährliche Erfahrung aus deiner Vergangenheit erinnert und instinktive Emotionen hochgebracht werden, wird dieses spezifische neurale Netzwerk verstärkt. Wir stärken die toxischen Emotionen und die neuralen Netzwerke in unserem limbischen Gehirn und beginnen, unterbewusste Überzeugungen über das Leben zu erschaffen. Diese Überzeugungen bestimmen unsere Handlungen und Reaktionen in allen Erfahrungen, die wir machen.
PTBS, emotionaler Stress und Leiden
Wenn wir ein schweres Trauma erleben, können wir eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln. Studien zeigen, dass die meisten Menschen mindestens eine lebensbedrohliche oder gefährliche Situation im Laufe ihres Lebens erfahren.
Die Studien lassen erkennen, dass, selbst wenn eine Person sich von der PTBS erholt, er oder sie doch möglicherweise weiterhin milde Symptome zeigen kann. Aufgrund der PTBS werden viele lebenstypische Situationen unangebrachterweise durch das limbische Gehirn geleitet, wo wir, zumindest aus der emotionalen Perspektive, diese herzzerreißenden Traumata oder Ereignisse nochmals durchleben, die oft viele Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen können.
Der Bezug zur PTBS ist deshalb hergestellt, da das limbische Gehirn, ursprünglich wie es ist, keine Zeit benennen und deshalb auch nicht unterscheiden kann zwischen einem schmerzvollen Ereignis, das vor 20 Jahren geschah, und der bloßen Erinnerung an dieses Ereignis, die durch eine ähnliche heutige Situation wieder aufgerufen wurde.
Beispielsweise war es weit verbreitet bei Soldaten, die aus dem Golfkrieg und den Kriegen im Irak und in Afghanistan zurückkehrten, ängstlich oder gestresst zu werden, wenn sie Feuerwerk oder andere plötzliche laute Geräusche hörten, da ihr limbisches Gehirn nicht verstand, dass es sich nicht länger im Kriegsschauspiel befand. Ähnliches kann sich auch bei Paaren zeigen, die durch eine bittere Scheidung gegangen sind: Sie können selbst nach vielen Jahren noch geschockt reagieren, wenn sie die Stimme des anderen hören.
Aber du musst nicht mit PTBS diagnostiziert sein, um intensive emotionale Reaktionen, die durch eine scheinbar harmlose Situation ausgelöst wurden, zu erfahren.
Diese Verstärkung kann ohne unser Wissen erfolgen, wenn wir ein emotionales Trauma einsetzen, um Mitleid zu bekommen, sei es von uns selbst oder von anderen. Wir mögen zum Beispiel sagen: „Ich muss mich nicht reif verhalten, denn ich hatte ja schließlich eine furchtbare Kindheit.“ Wenn wir eine solche Begründung erschaffen und wiederholen, dann stärken wir neurale Netzwerke und emotionale Gewohnheiten, die so ausgeprägt sind wie Haltungsgewohnheiten nach einem alten Schleudertrauma, welches die Wirbel und die Muskeln der Wirbelsäule betroffen hatte. Diese Netzwerke führen zu Emotionen und dann zu Überzeugungen, die uns vergangenen Schmerz begünstigen lassen, ebenso wie zu Verhaltensweisen, die ständig das Trauma verstärken und auch das Mitleid, das wir so erfolgreich damit auszulösen gelernt haben.
Während solch ein sich wiederholendes, kreisendes Muster einst dazu diente, unser Überleben zu sichern, wurde es nun giftig und hat Trugschlüsse über Bekanntschaften, Freunde und sogar die Familie entstehen lassen. Weil Überzeugungen unbewusst sein können, kann es sein, dass sie sich in Gewohnheiten zeigen, die uns überraschen. Wir mögen eine innige Beziehung eingehen, die auseinanderbricht, wenn wir entdecken, dass die Person nicht wirklich diejenige ist, für die wir sie gehalten haben. Aber die Situation mag in Wirklichkeit das Produkt unserer eigenen unbewussten Überzeugung sein, nämlich dass wir nie einen Partner finden werden. Oder ähnlich mögen wir eine unglaubliche Karrierechance haben, die jedoch zusammenbricht, weil wir tief in uns die Überzeugung haben, dass wir wertlos sind.
Sonderbarerweise kannst du sogar diese toxischen Netzwerke, die durch Traumata begründet wurden, durch eine furchtvolle Reaktion allein auf eine vermeintliche Bedrohung verstärken. Wann immer eine Situation auftritt, die nur entfernt einem schmerzhaften Ereignis in deiner Vergangenheit ähnelt, geht eine rote Fahne in deinem Säugetiergehirn hoch und du empfindest diese Situation als eine mögliche Bedrohung. Das geschieht, weil das Trauma nicht das ist, was tatsächlich geschah, sondern wie du es in deinem Verstand abgespeichert hast. Man kann sagen, dass du feststeckst durch das, was du glaubst, dass es so passiert ist. Und diese Geschichte wird unterhalb der Schwelle deines Bewusstseins lebendig erhalten, ohne dass du dir dessen bewusst bist oder du daran denkst.
Alberto Villoldo Buchtipp: ALBERTO VILLOLDO: Das erleuchtete Gehirn. Mit Schamanismus und Neurowissenschaft das Geheimnis gesunder Zellen entdecken • Goldmann 2011, TB, 288 Seiten, 12,99 Euro
Quelle: KGS Hamburg Magazin (09/2011)
Mit freundlicher Genehmigung von WRAGE.DE
Über Alberto Villoldo
Alberto Villoldo ist ein medizinischer Anthropologe und Psychologe, der die spirituellen Praktiken des Amazonas und der Anden seit mehr als 25 Jahren studiert. Während seiner Zeit an der Universität von San Francisco gründete er das biologische selbstregulations-Labor um zu untersuchen, wie der Geist sich auf die Gesundheit oder auf Krankheiten auswirkt.
Als Gründer der Four Winds Society lehrt er Menschen auf der ganzen Welt die Praxis der Energiemedizin. Dr. Villoldo hat zahlreiche Bestseller geschrieben, darunten One Spirit Medicine; Power Up Your Brain; Shaman, Healer, Sage und The Four Insights.
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