Schamanismus bezeichnet

1. Im engen Sinne die traditionellen ethnischen Religionen des Kulturareales Sibirien (Nenzen, Jakuten, Altaier, Burjaten, Ewenken, auch europäische Samen u. a.), bei denen das Vorhandensein von Schamanen von europäischen Forschern der Expansionszeit als wesentlichstes gemeinsames Kennzeichen erachtet wurde.[1] Zur besseren Abgrenzung werden diese Religionen häufig „klassischer Schamanismus“ oder auch „sibirischer Animismus“ genannt.[2]

2. Im weiten Sinne alle wissenschaftlichen Thesen und Konzepte, die aufgrund bestimmter Ähnlichkeiten der Praktiken diverser spiritueller Spezialisten verschiedenster traditioneller Gesellschaften ein bestimmtes kulturübergreifendes Phänomen postulieren. Nach László Vajda[3] und Jane Monnig Atkinson[A 1] sollte aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Konzepte treffender von Schmanismen im Plural gesprochen werden.


Sibirische Schamanen und verschiedene Geisterbeschwörer anderer Ethnien – die ebenfalls häufig verallgemeinernd als Schamanen bezeichnet werden – hatten oder haben in vielen traditionellen Weltanschauungen angeblich Einfluss auf die unergründlichen Mächte des Jenseits. Sie setzten ihre Fähigkeiten vorwiegend zum Wohle der Gemeinschaft ein, um in unlösbar erscheinenden Krisensituationen die „kosmische Harmonie“ zwischen Diesseits und Jenseits wiederherzustellen. In diesem weiten Sinne bezeichnet Schamanismus unscharf bestimmte vergleichbare Phänomene „zwischen Religion und Heilritual“.[4][5][6][7][8][9][Anmerkung 1]

Eine nähere allgemeingültige Bestimmung ist nicht möglich, da es ganz verschiedene Ansätze von Fachleuten aus Ethnologie, Kulturanthropologie, Religionswissenschaften, Archäologie,Soziologie und Psychologie gibt.[10][11] Dies hat unter anderem zur Folge, dass Angaben zur räumlichen und zeitlichen Verbreitung der „Schamanismen“ erheblich voneinander abweichen und in vielen Fällen umstritten sind.[12][13][14] Der amerikanische Ethnologe Clifford Geertz sprach daher bereits in den 1960er Jahren dem „westlich idealistischen Konstrukt Schamanismus“ jeglichen Erklärungswert ab.[A 2]


Einig ist man sich lediglich bei der „engen Definition“ des klassisch sibirischen Schamanismus – den Ausgangspunkt der ersten „Schamanismen“. Dazu gehört vor allem die genaue Beschreibung der dort praktizierten rituellen Ekstase, eine weitgehend übereinstimmende ethnische Religion sowie eine sehr ähnliche Kosmologie und Lebensweise.[15][11][16]

Nach weiter gefassten Definitionen wird Schamanismus bis in die 1980er Jahre als frühe, kulturübergreifende Entwicklungsstufe jeglicher Religion betrachtet.[15] Vor allem das Konzept desCore-Schamanismus von Michael Harner ist hier zu nennen. Diese Auslegung gilt jedoch mittlerweile als nicht konsensfähig.[14] Seit den 1990er Jahren steht häufig der Aspekt des „Heilens“ im Mittelpunkt des Interesses (und der jeweiligen Definition).[10]


Da bereits der klassische Schamanismus Sibiriens etliche Varianten aufweist, werden weiter reichende geographische oder historische Auslegungen, die solche Phänomene aus ihrem kulturellen Kontext gelöst betrachten und verallgemeinern, von vielen Autoren als spekulativ kritisiert.[17][13] In der zeitgenössischen Literatur – populärwissenschaftlichen (insbesondere esoterischen) Büchern, aber auch wissenschaftlichen Schriften – wird in diesem Zusammenhang oftmals nicht deutlich gemacht, auf welche Ethnien sich Darstellungen zu bestimmten schamanischen Praktiken konkret beziehen, so dass regionale (oft sibirische) Phänomene auch in anderen Kulturen verortet werden, in deren Traditionen diese tatsächlich jedoch fremd sind. Beispiele dafür sind der Weltenbaum und die gesamte schamanische Kosmologie: In Eurasien verankerte mythologische Konzepte, die hier mit ähnlichen Archetypen anderer Weltgegenden gleichgesetzt werden und so das irreführende Bild eines einheitlichen Schamanismus erzeugen.[13]

Insbesondere die äußerst erfolgreichen Bücher von Eliade, Castañeda und Harner haben den „modernen Mythos Schamanismus“ erzeugt, der suggeriert, dass es sich dabei um einuniverselles und homolog entstandenes religiös-spirituelles Phänomen handeln würde. Im Hinblick auf das große Interesse in der Bevölkerung[18] weisen einige Autoren darauf hin, dass Schamanismus demgegenüber keine einheitliche Ideologie oder Religion bestimmter Kulturen ist, sondern das es sich dabei um verschiedene uneinheitliche wissenschaftliche Thesen auseurozentrischer Perspektive handelt, um ähnliche Phänomene rund um die Geisterbeschwörer unterschiedlichster Herkunft zu vergleichen und zu klassifizieren.[14][19][20]

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