Vom Wissenschaftler zum Spinner Schritte einer Weiterentwicklung

von Eckhard Kruse

27. September 2018

1998, vor genau zwanzig Jahren, schloss ich meine Promotion im Bereich Robotik und Bildverarbeitung ab,

freute mich über den grosszügig dotierten «Heinrich-Büssing-Preis» der Technischen Universität Braunschweig und wurde in der Lokalzeitung als hochkarätiger Nachwuchswissenschaftler gefeiert. Mein Weltbild entsprach weitgehend demjenigen, welches auch heute in Wissenschaft, Bildungssystem und Gesellschaft als selbstverständlich vorausgesetzt wird: dass sich die vielfältigen Aspekte unserer Welt letztlich auf physikalische Vorgänge, Materie und Energie zurückführen lassen (Abb. 1).

Abb. 1: Verschiedene Perspektiven auf die Welt

Wäre mir damals der heutige Eckhard Kruse über den Weg gelaufen, hätte ich ihn wohl für einen ziemlichen Spinner gehalten, mit seinem Gerede von paranormalen Phänomenen, Spiritualität und der Welt des Geistes als ernstzunehmende Realität; und wie sich der Typ obendrein schmerzfrei fröhlich inmitten durchgeknallter Esoteriker tummelt, was hat der überhaupt noch an einer Hochschule verloren, was ist da nur schiefgelaufen?!

Nun, Sie ahnen es: Ich finde, es ist bei mir eigentlich ganz gut gelaufen. Ich hatte die Chance, vielfältige Erfahrungen zu machen und mein Weltbild immer mehr zu erweitern. Die Anzahl an Fragen ist zwar deutlich grösser geworden, aber auch die Begeisterung und Faszination für unser Dasein und für alle jene Ebenen, die in Abbildung 1 abgebildet sind; Ebenen, von denen unsere heutige Wissenschaft meist nichts hören möchte – warum eigentlich?

Filterblasen und kognitive Dissonanz 

Die Filterblase ist heute in aller Munde: Durch zunehmende Personalisierung, Vorschlagsund Filteralgorithmen gibt es in der Welt von Google, Youtube, Facebook und Co. die starke Tendenz, dass man genau die Inhalte präsentiert bekommt, die zum früheren Klickverhalten, den eigenen Vorlieben und Ansichten passen. Die Herausforderung, aber eben auch die Chance, sich mit Gegenpositionen zu beschäftigen, wird minimiert, was sich durchaus komfortabel anfühlen kann. Ist es nicht ein wunderbares Gefühl, wenn viele Menschen die eigene Meinung teilen?

Es gibt viele solcher Blasen und Parallelwelten. Die in meinen Augen aber vielleicht schlimmste Filterblase ist eine, die gleichsam unseren ganzen Planeten einhüllt, in der sich ein Grossteil unserer modernen Welt bewegt und die daher umso seltener bemerkt wird: Der Materialismus als Weltanschauung.

Abb. 2: Kognitive Dissonanz

Dass Filterblasen so gut funktionieren, liegt nicht an ihren besonders überzeugenden Argumenten oder Vorstellungen, sondern es ist einfach bequem, sich darin aufzuhalten. Draussen, an den Reibungspunkten verschiedener Meinungen und Erfahrungen lauert dagegen die äusserst anstrengende kognitive Dissonanz (Abb. 2). Wer diese mal besonders heftig erleben will, möge etwa eine Physikalische Séance besuchen: Da fliegen Dinge durch den Raum, Steine materialisieren sich, körperlose Stimmen feiern eine Party und nichts davon scheint hineinzupassen in das, was wir über die Welt zu wissen glauben. Ich habe hier schon darüber berichtet und es ist vielleicht der bisherige Höhepunkt meiner Ausbildung zum «Spinner». Aber es gibt auch viele andere Bereiche, wo ich die Mainstream- Menschen gerne mal schütteln und ihnen zurufen möchte: Hallo, guckt doch wenigstens einmal etwas genauer hin, was wirklich los ist!

Künstliche Intelligenz – ein Materialismus-Hype Beginnen wir mit etwas, das zunächst gar nicht so sehr nach Weltbild oder Spiritualität klingt: Selbstfahrende Autos, sprechende Assistenten im Wohnzimmer, Computer, die bald weit intelligenter als der Mensch sein sollen: unsere Gesellschaft ist schon lange technikbegeistert und da wundert es nicht, wenn auch die Medien permanent von «Künstlicher Intelligenz » schwärmen und sich dabei gerne zukunftsorientiert, technisch versiert, aufklärerisch oder gar ethisch weise mahnend geben; Motto: «Wir brauchen eine Ethik für Roboter» oder auch mal «Die Menschheit ist durch Künstliche Intelligenz bedroht». Ja, stimmt, die Menschheit ist bedroht, aber nicht durch «intelligente» Technik, sondern durch dumme Menschen mit zu viel Macht.


Abb. 3: Computer werden immer intelligenter?

In meinen Augen wird «Künstliche Intelligenz » derzeit völlig überschätzt, so wie zugleich die Bedeutung des menschlichen Bewusstseins und der Intelligenz des Lebens vom materialistischen Denken völlig unterbewertet wird. Wer Lebewesen als biologische Maschinen mit Gehirn-Steuercomputer missversteht, der glaubt eben auch, man könnte Roboter und Computer bauen, die den Menschen bald übertrumpfen. Nun, rechnen können Maschinen schon lange viel schneller als der Mensch, doch weitere, wirklich neue Fähigkeiten sind bis heute nicht hinzugekommen. Wenn man unter Intelligenz mehr versteht (eine allgemein akzeptierte Definition gibt es ohnehin nicht), wie zum Beispiel die Fähigkeit von Lebewesen, für bestehende Probleme selbstständig neue Lösungen zu erschaffendann gibt es bis heute nichts, was den Namen «künstliche Intelligenz» verdient. Wir «Menschenmaschinen» können Dinge tun, die Technikmaschinen niemals leisten werden – und liefern damit zugleich Argumente gegen das Dogma des Materialismus. Aus technischer Sicht sind unsere Computer und sogar Handys heute unglaublich leistungsfähig, doch sind sie im Laufe der Jahrzehnte auch nur ein bisschen intelligenter geworden? Falls der PC nicht macht, was Sie möchten, wird er sein Verhalten auch dann nicht ändern, wenn Sie es immer wieder neu probieren (Abb. 3). Wo menschliche Interaktionspartner nach Alternativen suchen können, da verlässt der Computer niemals die Grenzen des programmierten, also vorgeschriebenen Verhaltens. Das ist nicht Intelligenz, sondern entspricht eher Einsteins Definition vom Wahnsinn, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

Wären Computer intelligent, müsste es eine ihrer einfachsten Übungen sein, selbst Computerprogramme zu schreiben. Doch auch die Entwicklung der simpelsten Handy-App braucht eben jenes Fünkchen an Schöpferkraft, das Computer niemals besitzen werden. Insofern bin ich ziemlich sicher, dass es mit selbstfahrenden Autos noch sehr, sehr lange dauern wird, zumindest dort, wo sie auf menschliche Verkehrsteilnehmer wie Fussgänger oder Radfahrer treffen. Denn es wird immer Situationen geben, an welche die Programmierer nicht gedacht haben und die sich auch nicht aus den riesigen Trainingsdatensätzen folgern lassen. Es genügt eben nicht, für die 99 Prozent bekannter, vorhersehbarer Situationen die Lösung einprogrammiert zu haben und damit durchaus zu beeindrucken, aber in einem Prozent unvorhergesehener Fälle, die gründlich schief laufen, zu sagen, dass eigentlich doch der menschliche Fahrer die letztliche Verantwortung trägt.

Die Flexibilität lebendiger Intelligenz spiegelt sich auch im Gehirn wider, das entgegen der allgegenwärtigen Plapperei von Computer = Gehirn eben doch ganz anders aufgebaut ist: Im Computer erfüllt jeder der Milliarden Transistoren einen vorab festgelegten, spezifischen Zweck. Die technische Struktur ist bis ins letzte Detail ausgetüftelt und der Ausfall eines einzigen Transistors kann zum vollständigen Systemausfall führen. Im Gehirn lassen sich bisher lediglich grobe Funktionsbereiche identifizieren, sogar die Schädigung grosser Hirnbereiche kann oft weitgehend kompensiert werden, und was eine einzelne Synapse letztlich bewirkt, bleibt ein grosses Rätsel. Hier findet sich wahre Intelligenz, nämlich die des Lebens: sich durch innere Entwicklung stets neu zu erfinden und auch mit völlig Unvorhersehbarem klarzukommen, sich selbst zu heilen und sogar stärker daraus hervorzugehen. Bei technischen Systemen ist das Gegenteil der Fall. Je komplexer sie werden, desto kürzer wird ihre Robustheit und Lebensdauer. Vor den superintelligenten Robotern der Zukunft brauchen wir keine Angst zu haben. Sie werden die Menschheit nicht unterwerfen, sondern ohne unsere Hilfe, ohne regelmässige Wartung und Software-Updates in kürzester Zeit von alleine kaputt gehen und auf unseren immer grösseren Technikschrottplätzen landen.

Gesucht: Bessere Menschen oder bessere Technik?

Die schöpferische Intelligenz des Menschen und des Lebens ist weit mehr als das, was Technik jemals wird leisten können. Umso absurder ist es, mit welchem Tunnelblick Politik, Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft auf verheissungsvolle Technikentwicklung starren, das Bildungssystem in Richtung der passenden (MINT-)Fächer verbiegen und zugleich die Erforschung und Förderung der menschlichen Bewusstseinsentwicklung sträflich ignorieren. So ist die Begeisterung für «intelligente Autos», die in vielerlei Hinsicht ohnehin eine dümmere technische Lösung sind als etwa Fahrräder oder Strassenbahnen, wohl vor allem Ausdruck fehlender menschlicher Intelligenz (Abb. 4). Und auch wenn Menschen intelligenten Telefonen mehr Aufmerksamkeit widmen als intelligenten Gesprächen, läuft einiges schief.

Abb. 4: Grosse Autos, kleiner Geist

Wenn ich an die Technik-Professoren in meinem Kollegium denke, die mit leuchtenden Augen von ihren Fachgebieten schwärmen, als wäre Technik an sich schon irgendwie sinnstiftend, dann fühle ich mich mittlerweile sehr fern vom etablierten Hochschulbetrieb, marschiere stattdessen fröhlich weiter auf meinem Spinner-Weg. Doch der Schlüssel für eine bessere Welt ist eben nicht bessere Technik, sondern bessere Menschen. Solange Begriffe wie «technisches Versagen» zum allgemeinen Wortschatz gehören, ist das in unserer Gesellschaft wohl noch nicht angekommen. Technik trägt niemals Verantwortung, sondern der Mensch und oft genug eben jene Menschen, die eine gefährliche Technik entwickelt oder eingesetzt haben. Mindestens solange uns «künstliche Intelligenz» auf die Frage, was zu tun ist, nicht vorschlägt «mehr Liebe, mehr Menschlichkeit!», sind wir noch selbst gefordert.

Dabei geht es nicht nur um Intelligenz, sondern letztlich um Fragen des Bewusstseins. Wenn man die kosmische Entwicklung aus heutiger Sicht betrachtet, dann ist die wohl neueste, beste Errungenschaft eben jene Fähigkeit, dass Lebewesen sich als Teil der Welt bewusst erleben und darüber reflektieren können (Abb. 5). Das Universum gelangt gleichsam zur Selbsterkenntnis. Wow, was für eine spannende Baustelle, da sollten wir doch wohl weitermachen!

Abb. 5: Entwicklung im Universum

Höchste Priorität: Bewusstseinsforschung

Und was hilft bei der Erforschung des Bewusstseins? Natürlich: das Erleben veränderter Bewusstseinszustände oder gar der Zugang zu transpersonalen Erfahrungen, bei denen die Grenzen des Individuums und des Alltagsbewusstseins zeitweise überwunden werden können. Dort wird Kontakt zu anderen Ebenen von Wissen möglich, Bewusstsein und Geist können als etwas erlebt werden, das uns alle durchdringt und uns weit mehr verbindet, als unsere so sehr auf Individuum und Ego ausgerichtete Welt es wahrhaben möchte.

Es gibt viele Möglichkeiten, diese hochspannenden Bereiche zu erforschen, wie etwa Meditation, schamanische Trommelreisen, holotropes Atmen oder systemische Aufstellungsarbeit. In meinem vermeintlich wissenschaftlich so interessierten Kollegenkreis habe ich allerdings noch niemanden getroffen, der davon schwärmt, dass die wirklich wichtigen Erkenntnisse für die Menschheit gerade hier zu finden sind. Zugegebenermassen ist Bewusstseinsforschung auch eine ultimative Herausforderung für die bewährte wissenschaftliche Methode, die so viel Wert legt auf Objektivität, Messbarkeit, Kontrolle und Reproduzierbarkeit. Was für die Untersuchung toter Materie hervorragend funktioniert, stösst bei der Erforschung subjektiver, innerer Erfahrungen und einzigartigem menschlichen Erlebens auf grosse Herausforderungen. Manche folgern daraus, dass diese Aspekte der Welt für die Wissenschaft uninteressiert seien; manche messen die Hirnaktivität auf physikalischer Ebene und glauben, damit alles über das Bewusstsein herausfinden zu können; manche behaupten vielleicht gar, es sei nur ein Epiphänomen, also eine Art Begleiterscheinung der Gehirnmechanik – Hauptsache, man muss nicht das vertraute, so gut durchdacht erscheinende Gebiet (sollte ich sagen: die Filterblase?) der etablierten Naturwissenschaften verlassen.

Doch vielleicht müssen wir uns auch vom Kontrollzwang der wissenschaftlichen Methode etwas lösen? Das menschliche Leben zeichnet sich durch ein maximales Mass an nicht Nichtwiederholbarkeit aus. Zum Glück! Menschen, bei denen jeder Tag gleich abläuft, die sich stets gleich verhalten, um immer gleiche Ergebnisse zu erhalten, die eine maximale Kontrolle der Bedingungen des Versuchs «Leben » anstreben, verkörpern in meinen Augen nur selten das, wonach wir Menschen streben sollten: Lebendigkeit und flexibles, liebevolles Einlassen auf die Vielfalt des irdischen Seins (inkl. aller Facetten von Freude bis Schmerz).

Ein weiterer, kraftvoller Schritt zur Bewusstseinserforschung wird leider nicht nur landläufig als Spinnerei abgetan, sondern ist sogar bei hohen Strafen verboten; nämlich, wenn es darum geht, bestimmte Pflanzen, Pilze oder Substanzen einzunehmen, um gezielt in veränderte Bewusstseinsräume hinein zu gelangen. Dass die auf den ersten (Mainstream-)Blick vielleicht grössten Spinner letztlich ganz wesentliche, wertvolle Forschungsbeiträge für uns Menschen leisten, konnte ich zum Beispiel im April bei dem so inspirierenden Kongress zum 75ten Geburtstag der Entdeckung des LSD miterleben. Es war wunderbar zu sehen, wie viel Erkenntniskraft und wissenschaftliche Neugier hier erblühen, welche Chancen für menschliche Heilung sich bieten und wie die allgegenwärtige, aber eben doch völlig absurde Filterblase des «Kriegs gegen die Drogen» mit Fakten und Argumenten herausgefordert wurde.

Mehr Spinner für die Wissenschaft 

Zugegeben, vielleicht habe ich den Begriff «Spinner» in diesem Artikel etwas überstrapaziert: Denn natürlich geht es nicht darum zu diskutieren, wem man denn nun welches Etikett aufkleben möchte. Sondern wir sollten mit wissenschaftlichen Methoden, aber eben auch mit Neugier, Offenheit und Unvoreingenommenheit jene Daseinsbereiche erforschen, die für uns wichtig sind und wo ein besseres Verständnis vielleicht auch zur Weiterentwicklung von dem vielen, was gerade schief läuft, beitragen kann. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann und wird. Und wem es zu langsam geht, dem möge der Gedanke an Reinkarnation zu Gelassenheit, Geduld und dem Streben nach echter Nachhaltigkeit anregen.

Da ich eingangs die Physikalische Medialität als Ausdruck höchsten Spinnertums erwähnt hatte, will ich freudig mit der Anmerkung schliessen, dass die Ergebnisse meiner Audiomessungen von Geisterstimmen in Séancen nun tatsächlich in einem wissenschaftlichen, peer-reviewten Magazin veröffentlicht wurden. Na, geht doch! Eckhard Kruse, Audio signal processing to investigate alleged paranormal phenomena in mediumistic séances, IEEE Aerospace and Electronic Systems Magazine, Volume 33 Issue 2, February 2018, S. 52-56.


Über Eckhard Kruse

Prof. Dr. Eckhard Kruse studierte Informatik mit Anwendungsfach Physik und promovierte auf dem Gebiet der Robotik und Bildverarbeitung. Er arbeitete acht Jahre in der industriellen Forschung als Wissenschaftler und Manager. Seit 2008 ist er Professor für Angewandte Informatik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Sein klassisch wissenschaftliches Weltbild hinterfragte und erweiterte er im Laufe der Jahre aufgrund vielfältiger persönlicher Erfahrungen und Begegnungen mit inspirierenden Menschen aus verschiedensten Bereichen der Spiritualität. Er ist Autor des Buches Der Geist in der Materie – die Begegnung von Wissenschaft und Spiritualitätwww.eckhardkruse.net

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