Veränderte Bewusstseinszustände - ein Überblick von Lucius Werthmüller

von Basler Psi Verein

21. Januar 2015

In unserem gewöhnlichen Bewusstseinszustand erleben wir uns als etwas fest Begrenztes.


In veränderten Zuständen wie zum Beispiel in der Trance, in Träumen oder in der Ekstase verschieben sich die Grenzen zwischen dem Ich und der Aussenwelt auf vielfältige Weise. Den meisten paranormalen Manifestationen liegt ein veränderter Bewusstseinszustand zugrunde, in dem gewisse Begrenzungen des alltäglichen Bewusstseins wegfallen. Begriffe wie Trance, Hypnose, Traum, Ekstase, Rausch, Erleuchtung werden sehr häufig dabei verwendet, aber selten wird versucht, System in dieses „Spektrum des Bewusstseins“ zu bringen.



Stanislav Grof und die „Topographie des Unbewussten“
Es ist das Verdienst der transpersonalen Psychologie und damit von Leuten wie Abraham Maslow, Ken Wilber und Stanislav Grof, Ordnung in diese Ansammlung von verschiedenen Erfahrungen gebracht zu haben.

Stanislav Grof wurde 1931 in Prag geboren. Er studierte Medizin und absolvierte nach Beendigung seines Studiums eine psychoanalytische Ausbildung. In diesem Rahmen erforschte er die Wirkung von LSD in der therapeutischen Praxis. Dabei stellte er schnell fest, dass die auftretenden Erfahrungen mit dem psychodynamischen Modell, das er vertrat, nicht erklärt werden können. 1967 emigrierte er in die USA. Dort setzte er seine Forschungen fort und entwickelte mit seiner Frau Christina „ das holotrope Atmen“, eine Technik die Hyperventilation, stimulierende Musik und gezielte Körperarbeit verbindet und sehr tiefe Veränderungen des Bewusstseins hervorbringen kann.

In seinem Buch „Topographie des Unbewussten“ gibt er einen Überblick über die Zustände, die bei seinen Patienten während therapeutischen LSD Sitzungen aufgetaucht sind. Diese umfassen die ganze Palette von Zuständen, die uns aus spirituellen und okkulten Traditionen überliefert sind.

Grof unterscheidet dabei unter den transpersonalen Erfahrungen folgende Gruppen.

Erweiterung des Erfahrungsbereichs innerhalb des Rahmens der „objektiven Realität“. Darin gibt es die Gruppe von Erfahrungen, die mit einer zeitlichen Bewusstseinserweiterung einhergeht. Zu diesen gehören: embryonale und fötale Erfahrungen, Ahnen Erfahrungen, kollektive und rassenspezifische Erfahrungen, Erfahrungen einer früheren Inkarnation, Präkognition, Hellsehen, Hellhören und Zeitreisen. Zu den Erfahrungen der räumlichen Bewusstseinserweiterung gehören die Ich-Transzendenz in zwischenmenschlichen Beziehungen, die Identifikation mit anderen Personen, mit Gruppen, mit Tieren, Pflanzen und anorganischer Materie, ausserkörperliche Erfahrungen, aber auch Erleuchtungserlebnisse wie die Erfahrung von planetarischem oder kosmischem Bewusstsein. Bei der räumlichen Einengung des Bewusstseins treten zum Beispiel Organ-, Gewebe- und Zellbewusstsein auf.

Daneben gibt es aber auch die Erfahrungen, die über den Rahmen der objektiven Realität hinausgehen. Zu diesen Erfahrungen gehören spiritistische und mediale Erfahrungen, die Begegnung mit übermenschlichen geistigen Wesenheiten, Erfahrungen anderer Universa und Begegnungen mit Ihren Bewohnern, Begegnungen mit Gottheiten aber auch archetypische und mythologische Erfahrungen.  In seinem Buch „Topographie des Unbewussten“ illustriert er die einzelnen Erfahrungen mit eindrücklichen Protokollen aus seiner therapeutischen Praxis.

Leider hat unsere traditionelle Psychologie keine Modelle für diese Bewusstseinszustände, was dazu geführt hat, dass mystische Zustände, Trancezustände und andere aussergewöhnliche Bewusstseinszustände als pathologisch betrachtet werden.

Ken Wilber und das „Spektrum des Bewusstseins“

Unsere Begriffsverwirrungen und der Streit zwischen den Anhängern verschiedener psychologischer und auch esoterischer Schulen kommt daher, dass wir ihren Geltungsbereich nicht abstecken. Der amerikanische Philosoph und Bewusstseinsforscher Ken Wilber hat dazu ein Modell entworfen, das alle diese Zustände und ihre Deutungen in einem Spektrum umfasst. Dieses Spektrum des Bewusstseins ist eine mehrdimensionale Darstellung der menschlichen Identität, von der höchsten Identität des Kosmischen Bewusstseins über verschiedene Stufen, die Wilber als „Bänder“ bezeichnet, bis zum eingeengten Identitätsgefühl, das dem ichhaften Bewusstsein eigen ist
Nachfolgend ein kurzer Überblick über die Hauptebenen dieses Spektrums.

Die Ebene des GEISTES: Wilber geht in Übereinstimmung mit vielen spirituellen Traditionen davon aus, dass das innerste Bewusstsein des Menschen identisch ist mit der absoluten Wirklichkeit des Universums, die entsprechend der Tradition mit Namen wie Brahman, Tao oder Gott benannt wird und die Wilber mit GEIST bezeichnet ( „GEIST“ = letzte Wirklichkeit oder Kosmisches Bewusstsein im Gegensatz zu „Geist“ = Verstand, Intellekt“). Nach dieser universalen Tradition ist GEIST raumlos und daher unendlich, zeitlos und daher ewig und umfasst alles was ist. Auf dieser Ebene identifiziert sich der Mensch mit dem Universum. Für das, was Aldous Huxley nach G.W. Leibniz die „Philsophia perennis“ genannt hat, ist diese Ebene nicht eigentlich ein veränderter Bewusstseinszustand, sondern eigentlich der einzig „wirkliche“ Zustand. Das heisst, dass das innerste Bewusstsein des Menschen, das mit Begriffen wie Atman oder Christus bezeichnet wird, identisch ist mit der höchsten Wirklichkeit des Universums.

Transpersonale Bänder: Diese Bänder stellen einen überindividuellen Abschnitt des Spektrums dar, in dem der Mensch sich seiner Identität mit dem All nicht gewahr ist, seine Identität aber anderseits nicht durch die Grenzen des individuellen Organismus definiert ist. Dies ist der Teil des Spektrums in dem z.B. aussersinnliche Wahrnehmung auftritt und viele der paranormalen Phänomene situiert sind.

Existenzielle Ebene: Auf dieser Ebene gibt es erstmals eine strikte Trennung zwischen dem Ich und der Aussenwelt. Das heisst, dass der Mensch sich mit seinem in Raum und Zeit existierenden Organismus identifiziert. Auf dieser Ebene bildet sich der persönliche Wille. Der obere Bereich auf der Darstellung beinhaltet die biosozialen Bänder. Diese enthalten kulturelle Grundmuster, familiäre Beziehungen und soziale Konventionen, aber auch die Bereiche, die allem Erleben eine Färbung geben wie die Sprache, die Logik, die Ethik und das Recht.

Die Ebene des Ego: Auf dieser Ebene identifiziert sich der Mensch nicht mehr mit seinem gesamten Organismus, sondern nur mit einem mentalen Abbild seines Gesamtorganismus. Dieser wird gespalten in Psyche und Körper. So identifiziert man sich ganz mit seinem Verstand, seinem Ego. Das drückt sich deutlich darin aus, dass man auf dieser Ebene nicht sagt: „Ich bin ein Körper“ sondern „ich habe einen Körper“.

Die Ebene des Schattens: Oft erlebt der Mensch auch Teile seiner eigenen Psyche als fremd und von sich getrennt und spaltet sie von sich ab. Dadurch engt sich seine Identität weiter ein auf Teile seines Ego. So werden psychische Züge, die zu schmerzhaft sind oder sich nicht mit der Weltanschauung in Übereinstimmung bringen lassen, ausgegrenzt und bilden einen Fremdkörper. Dieser wird als Schatten bezeichnet.

Natürlich kann diese sehr verkürzte Darstellung die Beziehungen zwischen den einzelnen Ebenen und auch die einzelnen Unterebenen nicht ganz ausloten. Wichtig in dieser schematischen Darstellung ist, dass je weiter wir nach oben kommen, das Identitätsgefühl sich zunehmend einengt, und dass die darunterliegende Ebene immer alle darüberliegenden Ebenen intergriert.

Die Aussagen einer psychologischen Schule oder eines philosophischen Modells können sich also auf verschiedene Bewusstseinsebenen beziehen. Das heisst, dass man sich darüber klar werden muss, auf welcher der aufgeführten Ebenen ( Ebene des Ego, biosoziale Ebene, existenzielle Ebene, die transpersonale Ebene oder die Ebene des Geistes) sie angesiedelt ist.

So kann man natürlich auch die verschiedenen psychologischen Systeme und Therapien den einzelnen Ebenen und Unterebenen zuordnen.

Es ist zum Beispiel unbestritten, dass ein Grossteil unserer Träume auf psychodynamische Weise erklärt werden kann. Ebenso klar ist für mich aber auch, dass es Klar-Träume, luzide Träume, prognostische Träume gibt, die sich in diesem engen Rahmen sinnvoll nicht erklären lassen. So macht es keinen Sinn, einen prognostischen oder transpersonalen Traum auf der freudschen Ebene des Ego zu deuten.

Eine physikalische Analogie mag das Modell des Bewusstseins als Spektrum verdeutlichen:

Unsere Umwelt ist gesättigt von Strahlungen verschiedenster Art. Neben dem sichtbaren Licht in seinen verschiedenen Farben gibt es noch Röntgenstrahlen, Gammastrahlen, Infrarotwärme, Ultraviolettlicht, Radiowellen und die kosmischen Strahlen. Alle diese Strahlungen unterscheiden sich auf den ersten Blick beträchtlich voneinander. Gewiss kann man den Eindruck bekommen, dass es sich um grundverschiedene Phänomene handelt. Dennoch werden alle diese Strahlungen heute als Erscheinungsform ein und desselben Phänomens aufgefasst, nämlich der elektromagnetischen Schwingung.

Lama Anagarika Govinda, ein Vertreter des tibetischen Buddhismus, sagt über diese Schichten oder Hüllen des Bewusstseins: „Diese Hüllen sind nicht als aufeinanderfolgende , getrennte Schichten zu verstehen, sondern als sich gegenseitig durchdringende Prinzipien - vom feinsten allseitig leuchtenden, alles durchstrahlenden Bewusstsein bis zum "materialisierten Bewusstsein" das als Körper in Erscheinung tritt.“

Mit diesem Modell des Bewusstseins als Spektrum, wie es der amerikanische Philosoph Ken Wilber ausformuliert hat, lassen sich also viele scheinbare Widersprüche und Differenzen zwischen verschiedenen Modellen klären:

Jede dieser Theorien hat also mehr oder weniger recht, wenn sie sich auf ihren Geltungsbereich beschränkt. Dass alle Forscher zu einer einhelligen Sicht der Dinge kommen ist nicht zu erwarten, aber sie könnten sich klarmachen, dass sie - aus verschiedenen Perspektiven über dasselbe Spektrum sprechen. So können wir zu einer wirklichen Synthese der verschiedenen Ansätze zur Bewusstseinserforschung kommen. In dieser Synthese bestehen gleichrangig nebeneinander die verschiedenen psychologischen Schulen aber auch die Einsichten der grossen Weisheitslehren.

Literaturliste:

Stanislav Grof: Topographie des Unbewussten, Klett Cotta

Geburt, Tod und Transzendenz, Kösel Vlg

Das Abenteuer der Selbstentdeckung, Kösel Vlg

Ken Wilber: Spektrum des Bewusstseins, O.W.Barth Vlg

Wege der Übung, Kösel Vlg

Andreas Resch (Hrsg): Veränderte Bewusstseinszustände, Imago Mundi Vlg

Charles T. Tart: Transpersonale Psychologie, Walter Vlg 


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