Hören statt sehen
von Eckhard Kruse
16. August 2016
Die Erforschung physikalischer Medialität durch Audiosignalverarbeitung von Prof. Dr. Eckhard Kruse
Als mich Lucius Werthmüller vor bald zwei Jahren auf die Physikalische Medialität aufmerksam machte, klang vieles unglaublich: Was ich aus Gruselfilmen oder Spukgeschichten kannte, das sollte es tatsächlich real, auch heute noch geben: In Séancen wird im Dunkeln Kontakt zu Verstorbenen hergestellt, ihre Stimmen sind zu hören, Gegenstände fliegen durch die Luft oder tauchen gar aus dem Nichts auf. Sogar Ektoplasma soll es geben, jenen geisterhaften Stoff, der etwa aus dem Mund des Mediums austritt und in vielfältiger Form und Gestalt ein Eigenleben entwickelt und über den sich die Wissenschaft schon vor hundert Jahren den Kopf zerbrach.
Glauben konnte ich das zunächst kaum, aber anschauen wollte ich es mir auf jeden Fall. Mittlerweile, nach verschiedenen beeindruckenden Séancen bei Kai Mügge, Warren Caylor und Mychael Shane bin ich überzeugt: Hier gibt es Faszinierendes zu erleben – und sogar wissenschaftlich zu erforschen! In Gesprächen mit Lucius entstand die Idee zu akustischen Messungen und dank des Interesses und der Zustimmung von Warren Caylor und seinem Spirit-Team konnte ich im vergangenen Dezember dann tatsächlich eine schnell zusammengebastelte Konstruktion mit vier Mikrofonen an die Wand des Séance-Raumes hängen. (Anmerkung für Skeptiker, die alles für Betrug und Trickserei halten: Wie oft sagt ein Betrüger oder ein Zauberkünstler: Ja, prima, bitte baue nach Belieben deine Messapparaturen auf, damit wir endlich herausbekommen, was hier genau vor sich geht?)
Bild 1: Messapparatur im Séanceraum // Bild 2: Audiolokalisation Übersicht
Messen, wo man den Sinnen nicht traut
In Warren Caylors Séancen ist unter anderem das bemerkenswerte Phänomen der «direkten Stimmen» zu beobachten, d.h. die zu hörenden Spirit-Stimmen scheinen unabhängig vom Medium und dessen eigener Stimme zu sein, verlassen während der Séance das Kabinett (jene durch dunklen Stoff verhüllte Kammer, in der das Medium sitzt) und bewegen sich im Raum, teils durch Fussstampfen auf dem Boden begleitet. Das alles geschieht, während Warren Caylor an seinen Stuhl gefesselt und sein Mund mit einem Knebel fest verschlossen ist. Wer also vermutet, Warren täusche die Phänomene durch Tricks vor, müsste auch erklären, wie er sich unbemerkt aus der Fesselung befreit und hinterher in den gefesselten Zustand zurückversetzt. Doch wir Augenmenschen sind wohl so an den Sehsinn gewöhnt, dass die Dunkelheit in der Séance und die unglaublichen Geschehnisse dazu führen, dass mancher am Ende seinen Wahrnehmungen misstraut und nicht mehr sicher ist, was er wirklich erlebt hat. Schauen wir uns also die Messungen an!
Für die Auswertung der Audiodaten programmierte ich eine Software, um die Laufzeitunterschiede des Schallsignals zu den verschiedenen Mikrofonenpositionen zu ermitteln und daraus die jeweilige Position der Klangquelle zu berechnen. Was einfach begann, wurde immer ausgetüftelter. Ich zog wissenschaftliche Artikel über Signalverarbeitung heran und die Software wurde genauer, komplexer und komfortabler, etwa um die Navigation in den umfangreichen Audiodaten zu vereinfachen, verschiedene Analysen anzuzeigen und die Positionen für 3D-Animationen zu exportieren. Bei der Vorstellung, meine Informatik-Kollegen wüssten, dass ich an einem ‚Geisterstimmenlokalisator‘ arbeite, muss ich grinsen. Das ist doch wohl spannender als alles, was sich in irgendwelchen App-Stores findet?!
Klangquellenlokalisation
Die Abbildung 2 zeigt einen Überblick von Geräuschen und ihren Positionen während einer Seance mit Warren Caylor im Dezember 2015. Die Einrichtung des Raumes, Kabinett, ungefähre Positionen der Stühle und Personen sind der Anschaulichkeit halber in das 3D-Modell mit eingearbeitet. Die gemessenen akustischen Ereignisse sind blau markiert, wobei ein Zeitraum von wenigen Minuten erfasst wurde. Es waren Spirit-Stimmen in der Nähe des Kabinetts zu hören, welche in einen lebendigen Dialog mit den Teilnehmern traten, wobei auch manches Mal gelacht wurde. Vor dem Kabinett war gelegentlich lautes Fussstampfen zu hören, welches sich in den Signalen in Bodennähe widerspiegelt. Bei mehreren gleichzeitigen Geräuschen wurde das stärkste erkannt oder das Signal insgesamt als nicht berechenbar herausgefiltert.
Besonders interessant sind natürlich die Bewegungen der Spirit-Stimmen. Erfreulicherweise zeigte das Spirit-Team selbst auch ein grosses Interesse an den Experimenten, kam mitunter auf den Mikrofonaufbau zu sprechen und vollführte demonstrative Bewegungen im Raum. Besonders eindrucksvoll war dies im Rahmen eines nicht-öffentlichen Home Circles, bei dem verschiedene Stimmen in rascher Folge im Dialog miteinander zu hören waren. Sie sind in Bild 3 durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet, wobei die deutlich niedriger liegende Stimme von «Tommy » stammt, welcher nach eigenen Angaben noch ein Kind ist.
Bild 3: Vier Spirits im Dialog
Die Klangquellenlokalisation zeigt deutlich, wie die Spirit-Stimmen tatsächlich das Kabinett verlassen und sich durch den Raum bewegen. Daneben ist sie hilfreich für die Beobachtung des gesamten Séance-Geschehens, da auch andere Ereignisse zuverlässig ortbar sind, seien es Gegenstände, die auf den Boden prallen, Luftballons und Blasinstrumente, mit denen Warrens Spirits gerne mal spielen, und nicht zuletzt die Stimmen und Geräusche der Teilnehmer und Sitzungsleiter, bei denen es keinerlei Hinweise darauf gab, dass jemand heimlich seinen Platz verlassen hätte.
Forensischer Stimmvergleich
Um Argumente für die Echtheit der Phänomene zu sammeln, bietet sich ein weiterer Ansatz an: Wäre das Medium überhaupt in der Lage, die sehr unterschiedlich klingenden Spirit-Stimmen vorzutäuschen? Der Einsatz technischer Tricks und Hilfsmittel erscheint mir unter Bedingungen wie bei Warrens Séancen sehr unwahrscheinlich, zumal die Spirits einen interaktiven Dialog mit den Teilnehmern führen, so dass eine vorherige Aufzeichnung fertiger Botschaften nicht in Frage kommt. Wenn Skeptiker jedoch sagen, Warren spreche einfach mit verstellter Stimme (und man erneut aussen vor lässt, dass sein Mund geknebelt ist), lässt sich das weniger einfach entkräften. Denn obwohl die Spirit- Stimmen sehr unterschiedlich klingen, bleibt es letztlich schwierig, aufgrund solcher subjektiven Eindrücke zu einer verlässlichen Aussage zu kommen.
Auch hier helfen Techniken der Sprachsignalverarbeitung, um objektives Beweismaterial zu liefern und obendrein Merkmale zu verwenden, welche kaum (bewusst) hörbar sind, da sie für unser Sprachverständnis nicht relevant sind. Sogenannte forensische Stimmvergleiche sind eine gängige Praxis in der Kriminalistik.
Dort besteht die typische Aufgabe darin, Stimmproben zu vergleichen und eine Wahrscheinlichkeit anzugeben, nach der ein Verdächtigter mit dem Täter, von dessen Stimme beispielsweise Telefonmitschnitte vorliegen, identisch ist.
Für die Untersuchung der Spirit-Stimmen muss dieser Ansatz etwas angepasst werden, denn hier wäre anzunehmen, dass das Medium bei einem Betrug die eigene Stimme gezielt verstellt. So wäre es recht einfach, die Tonhöhe oder auch Tempo und Rhythmik zu variieren. Diese Parameter ergeben also nur schwaches Beweismaterial. Wesentlich interessanter sind die Obertöne der Stimme: Die sogenannten Formanten hängen vom Vokaltrakt ab, also den Hohlräumen vom Kehlkopf bis zu den Lippen, und werden durch die Zunge, Lippen und Mundhöhle gestaltet. Während die forensische Stimmanalyse meist mit vergleichsweise schlechter Aufnahmequalität wie in Telefonmitschnitten auskommen muss, können die Séance-Stimmen mit bester Audioqualität aufgenommen werden. Dadurch werden zusätzliche Merkmale (insbesondere die höherfrequenten Formanten F3 und F4) für die Analyse zugänglich.
Bild 4: Auswertung des Stimmprofils von Spirit «Albert»
Abbildung 4 zeigt die statistische Auswertung einer Spirit-Stimme. Auf der linken Seite ist dargestellt, mit welcher Häufigkeit die Formanten F1 und F2 im Verhältnis zueinander auftreten (die Skalen zeigen Frequenzen in Hertz), daneben die Formanten F3 und F4. Die F1-F2-Kombination spielt bei der klanglichen Unterscheidung von Vokalen eine zentrale Rolle und wird beim Sprechen gezielt (in sprecherabhängiger Weise) verändert. F3 und F4 spielen für das Sprachverstehen kaum eine Rolle, können aber umso hilfreicher sein, verschiedene Sprecher zu unterscheiden. Auf der rechten Seite findet sich noch die Grundfrequenz der Stimme, die bei den Spirits sehr unterschiedlich war, aber wegen der leichten Manipulierbarkeit nicht für die Bewertung herangezogen wurde.
Für alle Spirit-Stimmen und auch für Warren habe ich entsprechende Auswertungen erstellt und unter anderem hinsichtlich der F3-F4-Anteile verglichen. Die Ergebnisse sind in der folgenden Abbildung zusammengefasst: Warren und seine Spirits besitzen deutlich unterschiedliche Stimmprofile – und zwar auch in dem Frequenzbereich, der sich der willentlichen Steuerung entzieht!
Vergleich mit einem Stimmkünstler Um die Bedeutung dieser Ergebnisse zu verdeutlichen, hier zum Vergleich die Daten eines professionellen Künstlers, der sehr gekonnt und gezielt mit seiner Stimme arbeitet: In seinen (in jeder Hinsicht empfehlenswerten!) «Känguru-Chroniken» führt Marc- Uwe Kling äusserst lebendige Dialoge zwischen sich selbst und einem Känguru, das er selbst spricht, das aber durch eine verstellte, leicht gepresste Stimme mit anderer Tonhöhe und anderem Duktus ein überzeugendes Eigenleben entwickelt. Die Analyse zeigt jedoch klar: Beide F3-F4-Verteilungen sind sehr ähnlich: Hier spricht die gleiche Person.
Bild 5: Stimmvergleich: Warren und Spirits // Bild 6: Stimmvergleich: Kling und Känguru
Es bleibt spannend
Sowohl die Audiolokalisation als auch die Stimmanalyse entziehen gängigen Betrugsthesen den Boden. Die Messungen stützen die Annahme, dass es sich bei den direkten Stimmen um echte, ernstzunehmende Séance- Phänomene handelt – und, zugegeben, sie werden dadurch für mich keineswegs «weniger unglaublich», im Gegenteil!
Vielleicht ist es für Forscher allgemein und für Parapsychologen im Besonderen unbefriedigend, wenn mit jeder Messung die Fragen und das Staunen nur grösser werden, wo man doch gerne abschliessende Antworten hätte. Bemerkenswerterweise steigen manche Séance-Beobachter gerade in dem Moment aus, da die Unglaublichkeit nahezu greifbar und unleugbar ist, und erklären alles für Betrug, ohne allerdings zu sagen, wie er funktionieren sollte. Egal wie viele Beobachtungen, Messungen und Argumente die Erforschung der physikalischen Medialität liefert, solange sie nicht ins vorherrschende Weltbild passen, werden sie wohl keinen Skeptiker überzeugen.
So wünsche ich mir einfach, dass sich mehr Menschen auf das Abenteuer einlassen, mit Offenheit, Gelassenheit und Demut unsere Unwissenheit über das Wesen der Welt zu erleben, vermeintliche Gewissheiten aufs Spiel setzen und sich ein eigenes Bild machen. Vielleicht bekommt so manches Unglaubliche allmählich seine Daseinsberechtigung in dem, was die Allgemeinheit als Wirklichkeit bezeichnet. Ich jedenfalls bleibe am Ball, meine Ideenliste für zukünftige Untersuchungen wird eher länger als kürzer und kürzlich hat auch Mychael Shane als weiteres Materialisationsmedium Audiomessungen zugelassen. Es bleibt spannend.
Weitere Informationen zu den Untersuchungen sowie Animationen der Bewegungen der Spirit- Stimmen finden sich unter dem folgenden Link: www.eckhardkruse.net/physmed
Über Eckhard Kruse
Prof. Dr. Eckhard Kruse studierte Informatik mit Anwendungsfach Physik und promovierte auf dem Gebiet der Robotik und Bildverarbeitung. Er arbeitete acht Jahre in der industriellen Forschung als Wissenschaftler und Manager. Seit 2008 ist er Professor für Angewandte Informatik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Sein klassisch wissenschaftliches Weltbild hinterfragte und erweiterte er im Laufe der Jahre aufgrund vielfältiger persönlicher Erfahrungen und Begegnungen mit inspirierenden Menschen aus verschiedensten Bereichen der Spiritualität. Er ist Autor des Buches Der Geist in der Materie – die Begegnung von Wissenschaft und Spiritualität. www.eckhardkruse.net
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