Aus Verbundenheit entsteht Glück - Interview mit Chuck Spezzano

von Chuck Spezzano

11. Dezember 2014

Der Weg in den Himmel führt über unsere Beziehungen, sagt der amerikanische Psychologe Chuck Spezzano. Was können wir tun, damit sich die Tür zu diesem Himmel öffnet und wir wahres und dauerhaftes Glück erfahren können?

Chuck möchte den Teilnehmern seiner Seminare Wege zeigen, wie die vermeintlichen Hindernisse, über die man so leicht stolpert und die das Beziehungsglück manchmal so unerreichbar erscheinen lassen, umgehen kann.



Chuck, der englische Titel eines Ihrer Bücher ist Relationships – The Stairway to Heaven. Was ist,
wenn man nicht in einer Zweierbeziehung ist, gibt es dann keinen Zugang zum Himmel?
Wir sind ja immer in Beziehung. Wenn nicht, sind wir tot. Wir sind in Beziehung mit allen Menschen um uns herum. Wir haben Beziehungen zu Freunden, zu unserer Familie. Wir haben eine Beziehung zu unseren Eltern, selbst wenn sie schon gestorben sind.



Es geht also nicht unbedingt um eine Zweierbeziehung?
Richtig. Im Kurs in Wundern heisst es: «Erlösung ist Dir so nah wie der Mensch neben Dir.» Das bedeutet, dass jeder Mensch, mit dem wir zusammen sind, unsere Tür zum Himmel sein kann. Du kannst mit jedem Menschen im Himmel sein. Es kommt darauf an, wie tief Du Dich auf eine Verbindung mit jemandem einlässt, wie sehr Du Dich zum anderen hinwendest und Kontakt mit ihm aufnimmst. Dann kommst Du an einen Punkt, wo Du den anderen gar nicht mehr so sehr als Körper wahrnimmst, weil Du nicht mehr beurteilst oder versuchst, etwas vom anderen zu bekommen. Die meisten von uns können gar nicht sehen, was wirklich passiert – wir sehen nur die Vergangenheit und die steht zwischen uns. Ins Hier und Jetzt zu kommen ist etwas ganz Entscheidendes, denn hier sind Frieden und Freude. Hier projizierst Du nicht die Vergangenheit auf die andere Person.



Wie können wir den ersten Schritt in diese Richtung tun?
Indem wir uns selbst beobachten, Zeuge dessen sind, was wir mit unserem Verstand (engl. mind), unseren Gedanken anstellen. Es geht darum, den anderen zu segnen, anstatt ihn zu verurteilen. Ihm das Beste zu wünschen, ihm zu vergeben. Wenn jemand anderes uns tief verletzt, gibt es zwei Möglichkeiten für uns: Wir können die Person verurteilen, aber das bedeutet, dass wir unsere eigene Schuld zudecken. Mit Aus Verbundenheit entsteht Glück Interview mit Chuck Spezzano einer Verurteilung sagen wir: Ich würde so etwas nie tun. Ich bin besser als Du. Damit schauen wir auf den anderen hinab – denn das ist, was das Ego immer versucht zu tun. Das liegt in unserer eigenen Schuld begründet. Aber wenn wir unschuldig sind, sehen wir, dass der andere unsere Hilfe braucht, und dann wollen wir ihm aus unserem Mitgefühl heraus die Hand reichen, um ihm ebendiese Hilfe zu geben.



Wofür fühlen wir uns schuldig?
Die Schuld ist eine Illusion des Egos. Sie taucht auf, wenn wir die Verbindung verlieren oder sie unterbrechen. Mit dem Schmerz darüber tauchen alle diese Emotionen auf: das Gefühl, nicht genug zu sein, Angst, ein Gefühl von Verlust, Schuld, Widerstände. Jedes Mal, wenn wir die Verbindung zu jemand anderem verlieren, wenn wir zum Opfer werden, irgendetwas Negatives geschieht, tauchen diese Gefühle auf. Darunter verborgen ist der Wunsch nach Unabhängigkeit. Wir wollen recht haben und etwas Besonderes sein.



Ist das der Wunsch nach Freiheit?
Die Unabhängigkeit bringt uns keine Freiheit. Sie ist nur eine Rolle, die wir spielen. Und Hand in Hand mit ihr geht die Rolle des Opfers, des Bedürftigen, auch die von Aufopferung und die des Märtyrers. Das gehört immer zusammen und es zerstört die Lebendigkeit einer Beziehung. Jedes Mal also, wenn wir die Verbindung verlieren – und das ist eine Wahl, die wir selbst getroffen haben –, sieht es so aus, als ob uns jemand etwas angetan hat. Tatsächlich aber hat unser Unterbewusstsein alles geplant.



Und was passiert dann?
Mit jeder Trennung gehen Schuldgefühle einher. Was wir denken, falsch gemacht zu haben, ist die oberflächlichste Form von Schuld. Die nächste Ebene hängt mit unseren Beziehungen und unserer Familie zusammen. Jedes Mal, wenn in Beziehungen oder in der Familie etwas falsch läuft, fühlen wir Schuld – obwohl wir die anderen beschuldigen. Diese Form der Schuld innerhalb einer Familie hält uns davon ab, eine echte Partnerschaft einzugehen, wir fühlen uns unabhängig. Und wie gesagt, das ist nicht Freiheit, sondern Dissoziation. Wir decken all unsere Bedürfnisse zu, all unseren Schmerz, wenn uns das Herz gebrochen wurde – und wir tun so, als ob alles in Ordnung wäre. «Mir geht es gut! Ich brauche keinen Partner.» Aber wir haben sowieso jede Menge Partner, die um uns herum sind. Wann immer wir jemanden treffen, ist das nicht zufällig. Es ist Bestimmung. Wenn Du das verstehst, dann kann aus jeder Begegnung Freude entstehen.



Das ist also die zweite Schicht von Schuld. Sie geht tiefer, es ist eine Erbschuld, eine Seelenschuld, die wir mit in dieses Leben gebracht haben. Sie kommt von unseren Lebensmustern oder wenn Dir diese Formulierung nicht gefällt: Sie bestimmt die Lektionen, die wir hier zu lernen haben.



Dann gibt es noch die kollektive Schuld. Die Schuld der Menschheit. Und die Schuld des Gefallenseins. Wenn wir uns in einem Traum, einer Illusion verloren haben. Wir haben uns für die Dualität entschieden, gegen das Einssein, das Sein in Gott. Das ist die Urschuld. Erstaunlicherweise kommen die meisten Menschen dieser Einsicht niemals auch nur nahe. Die Schuld, die wir empfinden, weil wir denken, wir haben etwas falsch gemacht, ist in Wirklichkeit nur die Spitze des Eisbergs.



Wie können wir uns von der Schuld befreien?
Wenn wir jemandem vergeben, vergeben wir in Wirklichkeit uns selbst für das, was wir von uns denken. All diese uralten Glaubenssätze …
Die einfachste Formulierung, wenn wir uns selbst vergeben möchten, ist: «Ich verurteile mich nicht dafür». Und wenn wir jemand anderen nicht verurteilen, dann sprechen wir uns auch selbst von aller Schuld frei. Es geht immer darum, eine Verbindung zum anderen herzustellen. Gestern in meinem Vortrag habe ich gesagt: Du kannst dein Lebensmuster erkennen, wenn Du Dir anschaust, wie dein Leben verlaufen ist, beginnend bei der Empfängnis bis zum Alter von zehn Jahren. Wenn Du also eine dramatische Kindheit hattest, dann war ein Teil deiner Bestimmung, dass Du sehr unabhängig sein musstest. Dass Du dein eigenes Ding machen musstest, anstatt auf deine Eltern zu hören, die alles falsch gemacht haben. Und so etwas hält uns natürlich in schrecklichen Emotionen und in dem Gefühl von Ablehnung gefangen. Aber egal, was unsere Eltern getan haben, wenn wir sie nicht ablehnen, fühlen wir uns auch nicht abgelehnt. Das ist die Natur des Verstandes: Er verdreht die Dinge einfach. Wir überzeugen uns und andere davon, dass man uns etwas angetan hat. Das Ego stellt alle möglichen Fallen auf, um uns davon abzuhalten, andere Menschen wirklich zu kennen und zu lieben. Genau aus der Verbindung mit anderen aber entsteht die Freude.



Die meisten Menschen denken, sie müssen in einer Beziehung Kompromisse schliessen. Was glauben Sie?
In meinem Vortrag gestern Abend habe ich gesagt: Mache keine Kompromisse. Denn wenn man das tut, fühlen sich beide Partner einer Beziehung wie Verlierer. Stattdessen musst Du kommunizieren, Lösungen finden, Dich mit dem anderen verbinden. Dann kann sich die beste Lösung zeigen. Vielleicht liegt einer von beiden total falsch – aber wenn Du auf diese Weise kommunizierst, dann entsteht die Energie, die für den nächsten Schritt entscheidend ist. Auf diesem Weg gewinnen beide und ihr wisst, dass ihr die beste Lösung gefunden habt. Das macht deinen Partner stark und es macht Dich stark. Aber Kompromisse sind Scheisse. Du weisst, dass es einfach nicht funktionieren kann! Und dann fühlst Du Dich wie tot in deiner Beziehung.

Und dafür macht man dann den anderen wieder verantwortlich …
Genau: «Siehst Du, wie Du mich unterdrückst!» Eine von vielen Taktiken, die wir anwenden.



Kommen zu Ihren Vorträgen und Workshops mehr Frauen als Männer?
Normalerweise ja. Zumindest war es bisher so. Aber langsam kommen auch mehr Männer, und gelegentlich ist das Verhältnis fast ausgeglichen. In der Schweiz im letzten Workshop waren etwa 40 Prozent Männer, in Deutschland sind es etwas mehr.



Warum sind es mehr Frauen?
Ich glaube einfach, dass die Frauen schon weiter sind in ihrer Entwicklung. Meine Frau hat eine Theorie, was Inkarnation angeht: Wenn Du viele Leben hintereinander ein Mann warst, darfst Du endlich eine Frau werden. Ich glaube, sie hat Recht. Es ist doch so: Männer gehen raus, um die Welt zu erobern. In unserem tiefsten Inneren wissen wir aber, dass die Welt eine Illusion ist. Natürlich sorgen Männer auch für ihre Familien und so – aber Männer sind dafür geboren, Helden zu sein. Das separiert sie, sie drehen sich um sich selbst – was sowieso eine der grössten Fallen in Beziehungen ist.



Und Frauen?
Frauen können in einer Beziehung ganz in der Überzeugung aufgehen, etwas Besonderes zu sein, und dann kreisen sie auch nur noch um sich selbst, mit all ihren Emotionen, Empfindsamkeiten und so weiter. Es ist also ein ständiger grosser Kampf zwischen den Partnern.



Was können wir tun, damit hier Heilung stattfinden kann?
Es geht darum, all das zu überwinden, um wahre Verbundenheit und Liebe entstehen zu lassen. Das ist viel wichtiger, als immer nur um sich selbst zu kreisen. Es geht um das Uns. Es geht darum, dass beide zusammen glücklich sind. Es geht um Geben, anstatt immer zu gucken, was ich vom anderen bekommen kann. Das ist das Herzstück des Glückes einer Beziehung. Dauerhaftes Glück entsteht aus dem, was Du gibst. Und aus der Verbundenheit, die Du mit deinem Partner immer wieder herstellst. Das ist viel wichtiger als die gegenseitige Anziehung zu Beginn einer Beziehung. Die Anziehung entsteht aus einem Bedürfnis, sie entsteht daraus, dass Du vom anderen etwas bekommen möchtest. So fängt jede Beziehung an. Es geht also darum, das in eine Partnerschaft zu verwandeln, in der es um Ganzheit, um Glück und um Heilung geht. Es geht nicht darum, was Du bekommst, sondern um die Frage, was Du geben kannst, damit die Partnerschaft dauerhaft glücklich ist. 

Vielen Dank für das Gespräch, Chuck!

Das Gespräch führte KGS-Redakteurin Monika Knapp.


Über Chuck Spezzano

Dr. Chuck Spezzano hat einen Magister in Soziologie und erwarb seinen Doktortitel in Klinischer Psychologie in San Diego, Kalifornien. Von 1973 bis 1979 war er als Psychologe am «United States Naval Drug Rehabilitation Center» tätig und erzielte beachtliche Erfolge bei der Behandlung der Kriegstraumata von Vietnam-Veteranen. Anschließend arbeitete er in der Paar- und Familienberatung. In über dreißig Jahren intensiver Arbeit und Forschung entwickelte er zusammen mit seiner Frau Lency die bahnbrechende therapeutische Heilmethode der «Psychologie der Vision», die Verbindung der klassischen Psychologie mit spirituellen Prinzipien. Sie führt die Menschen über innerpsychische Konfl ikte hinaus zu wahrer Kreativität und einem sinnerfüllten Leben.

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