Macht Seele Sinn? von Dr. Carlo Zumstein

von Basler Psi Verein

23. Januar 2015

​Eine kurze Fallgeschichte. Daniel, 34, Teamleiter in einer Grossbank, hat Angst vor dem längst anstehenden Karriereschritt.



Eine kurze Fallgeschichte. Daniel, 34, Teamleiter in einer Grossbank, hat Angst vor dem längst anstehenden Karriereschritt. Seiner Partnerin gegenüber fühlt er sich permanent unterlegen: «Wenn ich die Ursache meiner Selbstzweifel kenne, dann kann ich sie auflösen. Mein Therapeut vermutet, ich könnte früher etwas erlebt haben, das mich bis heute blockiert. Doch seine Fragen holen es nicht aus mir raus. Sie werden es herausfinden. Sie sind Schamane. Rita haben sie sehr geholfen.» Gereizt fuhr er fort: «Ich bin erfolgreich, kriege viel Anerkennung. Der innere Zweifler macht sie jedes Mal zunichte. Der muss weg. Dafür braucht es keine Seele? Das ist etwas für Kinder, Esoteriker und Religiöse. Ich brauche ein starkes Selbstbewusstsein.» Für viele jüngere Menschen ist die Seele ein Auslauf- Modell. Sie sind, wie Daniel, überzeugt, dass sie mit der nötigen Einsicht in die Ursachen ihrer Probleme und einer Lösungs-Strategie ans Ziel kommen. Das ist ganz im Sinne der akademischen Psychologie. Sie hat die Seele schon Ende des 19. Jahrhunderts abgeschafft und durch das Selbst ersetzt. Für die Mehrheit der Menschen, die bei mir Heilung suchen, ist die Seele das Gefühlszentrum in der Herzgegend. Sie lieben aus tiefster Seele und fühlen sich geliebt, aber auch verletzt, zurückgewiesen, beschämt und schuldig. Die Seele ist der Ort des Urvertrauens. Der Körper ist das Haus der Seele. Er bringt es durch Krankheit, Leiden und Konflikte der Seele an den Tag. Für all diese Menschen ist Seele eine Erlebnis-Gewissheit. Dennoch sei die Frage erlaubt: Macht Seele Sinn, wenn wir sie nur mittels Gefühlen, Träumen und Körper erfahren und bewusst werden können? Auch spirituelle Menschen setzen die Seele mit dem Inneren gleich und finden dort das Tor zur Transzendenz. Frage: Macht Seele Sinn? Warum öffnen sie das Bewusstsein nicht direkt zum höheren Selbst hin? Natürlich würden mir all diese Menschen entgegenhalten, die Seele sei der göttliche und unsterbliche Anteil ihres Wesens. Trotzdem glauben sie, durch ein traumatisches Erlebnis in der Vergangenheit, einen Teil ihrer Seele verloren zu haben. Sie möchten, dass ich als Schamane für sie die verlorenen Seelenteile zurückhole, wie Sandra Ingerman dies in ihrem legendären Buch «Soul Retrival» beschrieben hat. Das war auch Ritas Wunsch. Für Sandra ist die Seele unser Wesenskern. Angesichts traumatischer Erschütterungen können Teile davon fliehen, um unversehrt zu bleiben, z.B. bei einem Missbrauch, einem Unfall, einer tödlichen Krankheit. Der Schamane kann, geleitet durch seine Verbündeten, diese Seelenanteile auffinden und dem Menschen wieder einblasen. Obwohl Ritas Geschichte in dieses Modell passte, habe ich keine Seelenrückholung durchgeführt. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass diese Seelen- Kosmologie dem Phänomen Seele genauso wenig gerecht wird, wie die religiöse und alltags-psychologische. Seele kann nicht auf die Herzgegend beschränkt sein. Wir können keine Seelenteile verlieren. Sie ist nicht teilbar.

Seele als Ur-Energie
Wenn Seele Sinn macht, dann nur als reine Ur-Energie des Lebens. Darum habe ich Rita eingeladen, ihre Seele als eine leuchtende, pulsierende und tönende Seelen-Sonne im Becken vorzustellen, in der Herzgegend eine Art Seelen-Mond als energetisches Gefühls- und Beziehungs-Zentrum, den Körper als pulsierende Lichtpunkte, wie Tautropfen in allen Regenbogenfarben leuchtend und um sich herum ein leuchtendes Seelenfeld, wie wir es oft auch um Sonne und Mond sehen können. Rita legte spontan ihre Hände aufs Becken, konzentrierte sich. Sie erlebte spontan das Leuchten, spürte das Pulsieren im ganzen Körper und vernahm einen feinen Klang, den sie sofort zu summen begann. Mit dieser energetischen Seelen-Kosmologie machten wir uns an die Heilung ihrer chronischer Körper-Beschwerden. In unserem Selbst-Konzept fehlt die Anerkennung einer unmittelbar erlebbaren Seelen-Energie aus unzerstörbarer Ur-Energie. Wir identifizieren uns mit den Gefühlen unserer traumatischen Erfahrungen und kreieren unsere Persönlichkeit aus den erinnerten Masken vergangener Leiden. Wir leiden nicht an Seelenverlust. Wir leiden an der Maskierung ja Verpanzerung unserer leuchtenden, pulsierenden und klingenden Seele-Energie. Rita verbrannte ihre Leidens-Masken im Feuer ihrer Seelen-Sonne.

Macht Seele Sinn – Lebens-Sinn?
Das ist die zweite Art die Frage zu verstehen. Ist die Seele Ursprung und/oder Ziel unseres Lebens-Sinns? Sinnkrisen und Sinnentleerung sind zur Volkskrankheit ohne Impfstoff geworden: weder durch Tröpfchen-Infektion weiter gegeben, noch durch Mundschutz zu verhindern. Sie ist Folge des gesellschaftlichen Sinnzerfalls. Für viele Anlass bei alten und neuen Religionen sowie spirituellen Lehren Zuflucht zu suchen. Immer mehr suchen den Schamanen auf, der seine Geister fragen soll, was ihre wahre Lebensbestimmung sei. Doch sie ist nur in der eigenen Seele zu finden. Was wäre eine energetische Antwort auf die Frage, ob die Seele unseren Lebenssinn vorprägt? Die Ur-Energie des Lebens ist Schwingung. So wie wir sie beim Atmen ganz direkt erleben. Einatmen und Ausatmen enden je in einer kurzen Atemstille vor der Umkehrung. Wenn wir nach dem Ausatmen die Atemstille durch Anhalten des Atems willentlich verlängern, dann meldet sich ein schnell stärker werdender Drang einzuatmen, dem wir uns letztlich nur hingeben können. In diesem unwiderstehlichen Atem-Impuls manifestiert sich für mich die Ur-Energie der Seele. Sie ist unerbittliche Leidenschaft fürs Leben. Wir können uns ihr nur hingeben. Was wir daraus machen ist unsere Wahl. Egal ob wir schreien, lachen oder weinen. Unsere Seele will leben. Hier und jetzt. Unsere Seele drängt ins Leben und erfüllt sich nach jedem Ein- und Ausatmen in kurzer Ruhe und Stille. Sie sind die beiden, der Seele immanenten Sinn- Richtungen. Rita kannte sie als Leidenschaft fürs Leben, die durch ihr Leiden gebremst war und als Sehnsucht nach Erholung, Ruhe, Stille. Meist leben wir sie horizontal aus, sehnen uns nach Insel, Sonne, Meer und Strand, Berggipfel oder Urwald. Doch die Sehnsucht der Seele zielt in die Leere des All-Einen, ins Ur-Meer der noch unpolaren Lebens- Energie, dem Meer aller Potenziale. Rita lernte sich dafür zu öffnen.

Macht – Seele – Sinn
Es gibt eine dritte Art mit dieser Frage umzugehen: Fragezeichen weglassen. Sofort geraten wir ins Spannungsfeld der drei Worte: Macht – Seele – Sinn. Seele eingeklemmt oder Angelpunkt zwischen Macht und Sinn. Macht ist die Kraft, der auf die Seele eindrängenden Worte, Bilder, Gefühle und Gewohnheiten unserer Vergangenheit. Sie macht uns zum Produkt unserer Vergangenheit und drängt uns die Zielrichtung der Zukunft auf mit längst veralteten Schlagworten wie Sicherheit, Reichtum, Erfolg, Glück, Gesundheit, Vergnügen. Auf der anderen Seite verpflichtet Sinn die Seele zu einer sinnerfüllenden Zukunft und weckt die Angst. Doch der Sinn des Lebens erfüllt sich immer jetzt. So wie jeder Atemzug sich jetzt im Ein- und Ausatmen erfüllt. Der auf die Zukunft gerichtete Lebenssinn kann heute nur Vision sein. Darum schuf Rita das neue Selbstbild jener Frau, die alle Sehnsüchte, Leidenschaften und Träume realisiert hat und übergab es ihrer Seele. Damit sie eines Tages erzählen kann: «Ich weiss nicht, wie mir geschah, aber zufällig bin ich an die richtigen Leute geraten, war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. So bin ich nun genau da angekommen, wovon ich in der Tiefe meiner Seele immer geträumt habe.» Bei Daniel ist dies noch nicht gelungen. Ritas chronische Körper-Beschwerden heilten einige Wochen später aus.


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