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Kraftplätze in Tirol: Erleuchtung nicht garantiert

Foto: Ferienland Kufstein

Spirituelle Orte in Tirol Magie unter der Fichte

Beim Wandern tankt man Kraft, klar - schöne Landschaft, frische Luft. Das österreichische Kufstein verspricht noch mehr: An magischen "Kraftorten" soll sich Energie spürbar bündeln. Touristennepp - oder ist was dran?
Von Eleonora Pauli

Bei spirituellen Dingen bin ich skeptisch. Beim "Om" in meinem Yogakurs muss ich lachen, und im Alltag komme ich sehr gut ohne Erdstrahlen und Wasseradern aus.

Und ohne Kraftplätze. Da fangen meine Zweifel schon beim Namen an. Kraftplätze. Was soll das sein? Das "Ferienland Kufstein" in Tirol wirbt mit "energetischen" Führungen, Kraft- und Heilwanderungen sowie Besinnungsplätzen. Ob irgendwas davon auch bei mir funktioniert?

Ein Kraftort, erfahre ich bei der ersten Begegnung mit Harald Löffel, könne eigentlich jeder Ort sein, dem eine mysteriöse Energie zugesprochen wird. Ein Ort, an dem eine starke Energie von der Erde ausgehe, der Menschen besondere Erfahrungen ermögliche. Diese Kraft soll von Natur aus bestimmten Seen oder Bergen eigen sein, aber auch den Pyramiden von Gizeh, dem Steinkreis von Stonehenge oder der Kathedrale von Chartres in Frankreich.

Harald ist gebürtiger Kufsteiner und nennt sich selbst Hikingharry. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet er als Wanderführer und Tai-Chi-Lehrer und befindet sich dabei, so sagt er, "voll in seiner Mitte". Harald ist in einem Maß esoterisch, dass ich mich gerade noch auf ihn einlassen kann.

Im Video: Tai-Chi am Thiersee

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"Der Thiersee gilt seit jeher als Kraftplatz", habe ich in den Reiseprospekten gelesen. Warum, das kann auch Harald nicht so richtig erklären. "Das ist einfach ein Ort, an dem man sich wohlfühlt, das spürt man", sagt er achselzuckend. Das grüne Wasser gurgelt in den abfließenden Bach, am Ufer duftet es nach frisch gemähtem Gras, in der Ferne surrt ein Traktor.

Nachdem Harry mit mir um den See gelaufen ist, bin ich in einem für meine Verhältnisse so spirituellen Zustand, dass mir am Ufer beinahe ein Kopfstand gelingt. Wir halten an einem sechseckigen Steinkreis am Riedenberg, der vor knapp zehn Jahren von der selbsternannten Druidin Eveline Grander angelegt wurde.

Im Video: Räucherritual am Steinkreis

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Die Anordnung der Kalksteine soll die Fruchtbarkeit des Bodens erhöhen und Besucher kräftigen. Die Stille auf der Lichtung ist betörend. Als ich den Kreis betrete, spüre ich keine Veränderung, doch als Harald das Feuer aus Christbaumrinde, Beifuß und Weihrauch entzündet, bin ich ein bisschen gerührt. Nach dem Räucherritual riechen meine Klamotten nach Lagerfeuer. Ich lege mich ins Gras, das gefällt mir.

Ich frage mich, ob man die Kraft, die es hier geben soll, eigentlich messen kann. Wenn sich einer damit auskennt, dann Jörg Purner, emeritierter Professor am Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege der Universität Innsbruck. In den Siebzigerjahren hat er sich mit Grenzfragen der Wissenschaften und der Wahrnehmung beschäftigt und versucht, Unregelmäßigkeiten im Strahlungsfeld rund um Kraftplätze zu untersuchen. Radiästhesie nennt sich diese Art der Untersuchung von Strahlenwirkungen auf Organismen.

Sein Fazit ist allerdings eher ernüchternd:

Einer derjenigen, die versuchen, Kraftplätze zu vermessen, ist Helmut Payr. Payr arbeitet als Human-Energetiker - in Deutschland würde er sich Heilpraktiker nennen, aber in Österreich gibt es diese Berufsbezeichnung nicht. Gemeinsam besuchen wir die denkmalgeschützte Dickichtkapelle, an der Payr ein seltsames Messinstrument auspackt.


Im Video: Energie messen mit dem "Tensor"

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Die "feinstoffliche" Energie und damit die "Schwingungen" des Kraftplatzes misst Helmut Payr in sogenannten Bovis-Einheiten. 6500 Bovis-Einheiten gelten als neutral. Alles, was darunter liegt, entziehe dem Menschen Lebensenergie, alles über 10.000 wirke sich hingegen positiv auf das "höhere Bewusstsein" aus, sagt er.

Sichtbar konzentriert fixiert Payr seinen oszillierenden "Tensor" und flüstert mit sanfter Stimme: "Lieber Tensor, darf ich dich fragen? Wie stark ist dieser Kraftplatz? Mehr als 1000? Mehr als 2000? Mehr als 3000?" Bei 21.000 Bovis-Einheiten schlägt die Feder des Tensors in eine andere Richtung aus - ein besonders starker Kraftplatz! Payr nickt zufrieden. Ich spüre: nichts.

Anders geht es mir an Kraftplatz Nummer vier. Der liegt hoch im Kaisergebirge und wurde vom Tourismusverband neu ermittelt, eine Tatsache, die mich zunächst skeptisch macht. Ich besuche ihn trotzdem, erneut mit Hikingharry-Harald. Schweißgebadet komme ich nach der Fahrt mit dem Sessellift oben an - nicht wegen der Anstrengung, sondern weil ich Höhenangst habe. Jetzt brauche ich wirklich einen Ort, der mir Kraft zurückgibt.

Leider ist der "Bewusstseinsort Adlerblick" schon besetzt: Mehrere Schülergruppen krakeelen auf der Aussichtsplattform nahe der Liftstation. Harald führt mich unter das schützende Nadeldach einer uralten Fichte, die nebenan steht. "Hier fühle ich mich richtig geborgen", sagt er. "Und wie es duftet!" Dann tun wir, was man als Kraftsucher hier oben anscheinend so tut: per Handwärme mit dem Baum kommunizieren.

Im Video: Bäume streicheln für Fortgeschrittene

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Langsam, aber sicher finde ich mein durch den Sessellift gestörtes Gleichgewicht wieder, meine Knie zittern nicht mehr. Ob das mit der Energie der Fichte zusammenhängt, weiß ich nicht. Trotzdem lehne ich mich dankbar an den Stamm des alten Baumes - aus den Wurzeln strahlt laut Harry besonders viel Kraft.

Bevor Harald zu Hikingharry wurde, war er alles Mögliche: Tellerwäscher, Raucher und Fotograf zum Beispiel. Nach einer Lungenentzündung begann er mit Chi Gong und Tai Chi und wurde Wanderführer. So fand er sein inneres Gleichgewicht. "Ich war eher ein extremer Mensch, kaum auszuhalten", erzählt der 53-Jährige. Heute schöpft er Kraft aus der Natur rund um seine Heimatstadt und zeigt Touristen seine Wege. Und wenn diese an seinen Lieblingsorten nichts spüren? "Das ist nicht schlimm. Jeder kann auch seinen eigenen Kraftplatz finden."

Beim Abstieg ins Kaisertal bin ich allein. Und finde tatsächlich meinen eigenen Kraftort. 300 Meter unter mir sprudelt der Kaiserbach, frische Luft zieht herauf. Ich liege auf einer Bank und schaue in die grünen Baumkronen, beobachte, wie sich die Blätter im Wind zu immer neuen Mustern vereinen. Hier wedelt niemand mit einem Tensor, ich höre nicht die Straße im Tal, kein Schülergeschrei, nur das Tosen des Wassers. Eine herrliche Ruhe.

Am Abend bin ich unsagbar müde. So müde, dass es noch hell ist, als ich einschlafe. "Zu viel Kraft aufgenommen", würde Harald jetzt sagen. Zu viele Kraftorte in zu kurzer Zeit durchwandert, glaube ich. Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo dazwischen. Aber so ist das eben mit den Kraftplätzen.

Eleonora Pauli ist freie Mitarbeiterin bei SPIEGEL ONLINE. D iese Reportage entstand für den Webrep-Wettbewerb  auf Einladung des Tourismusverbandes "Tirol Werbung " und von "Ferienland Kufstein".