Wie gewinnen wir unsere somatische Intelligenz zurück?

von Thomas Frankenbach

11. April 2016

5 Fragen an Thomas Frankenbach im Interview

Thomas Frankenbach, haben wir es wirklich verlernt, auf unsere innere Stimme hören?
Leider ja, in vielen Fällen. Und das hat verschiedene, auch historische Gründe. Mit der Zeit haben wir im deutschsprachigen Raum ein ganz anderes Körperbild entwickelt, als viele andere Kulturen und Naturvölker –oder vielleicht sollten wir besser sagen: ein anderes Selbstbild. Wir blicken heute auf Jahrtausende der Integration anderer Kulturen zurück, was uns stark bereichert hat. Aber auch auch auf Epochen drastischer Militarisierung, Industrialisierung und Technisierung. Den Sinn für das Lebendige und seine Bedürfnisse haben wir dadurch ein Stück weit verloren. Schon seit der Zeit von Karl dem Großen gehören auch militärische Tugenden wie bedingungslose Unterordnung und Disziplin zu den prägnanten Grundfesten unserer Mentalität. Das spiegelt sich auch beim Essen wieder: So sind viele von uns mit Sätzen aufgewachsen wie: „Der Teller wird leer gegessen, egal, ob Du schon satt bist!“, „Du hast zu essen, was alle essen!“, „Nimm Dich nicht so wichtig!“oder „Solange Du Deine Füße unter meinen Tisch streckst,…!“. Viele haben so schon früh gelernt, im Äußeren Haltung anzunehmen und dafür die innere Haltung und den Sinn für die eigenen Bedürfnisse zu opfern. Denn das sind Sätze, die unsere innere Wahrheit zum Verstummen bringen. Und drittens sind wir heute unfassbar vielen medialen Aussenreizen ausgesetzt: Handy, Internet, TV, Radio, soziale Netzwerke. Je höher die Dichte an Aussenreizen, desto weniger spüren wir unsere Inneren Impulse, unsere Gefühle und die Signale des Körpers.

     

Hat der Körper immer Recht?
Der Körper spricht immer. Er meldet uns über Gefühle, Emotionen und andere Signale, was er braucht, was ihm bekommt oder was ihm unverträglich ist. Auch beim Essen. Der Nervenarzt Fritz Perls hat einmal gesagt: „Der Körper ist Wahrheit“. Ein starker, aussagekräftiger Satz. Für jedes Individuum sollte also die Botschaft des eigenes Körpers die Richtlinie für seine Ernährung sein, nicht der neueste Ernährungstrend. Wir sind nunmal nicht alle gleich. Was dem Einen gut tut, kann dem anderen durchaus schaden. Bei uns im Westen gerät jede Ernährungsform gleich zu etwas allgemein Gültigem. Ohne Ausnahmen. Manchmal erinnert mich das an den für uns heute befremdlichen Aberglauben im Mittelalter, der ganz wesentlich aus Angst und Unwissenheit entstand. Nur dass sich die Vertreter des heutigen Aberglaubens offensichtlich häufiger in Diät- Schablonen und Ernährungsvorstellungen verbeissen.

Was kann man in Ihren Seminaren lernen?
Wer einen meiner Vorträge oder Workshops besucht, erlebt eine völlig neue Form der Ernährungsberatung und des Lebens mit Essen. Dabei geht es zu allererst darum, mit einfachen Übungen einen Zugang zum eigenen Körper wieder zu entdecken und um die alles entscheidende Frage „was will ich?“und „was brauche ich in meinem Leben?“zu beantworten. Die sind ja nicht zwingend deckungsgleich. Aber es geht auch um die Vermittlung von Wissen: über unser Nervensystem oder unsere angeborene Fähigkeit zur Körperintelligenz, die ich »Somatische Intelligenz«nenne. Und schlussendlich gibt es eine ordentliche Prise Warenkunde und Selbsterfahrung: wir gehen in den Lebensmittelhandel und üben uns darin, unsere Instinkte in Sachen Nahrung auch beim Einkauf wieder praktisch anzuwenden.


Wir freuen uns darauf, Thomas Frankenbach als Gast bei uns zu haben. Mehr erfahren Sie hier



Wie kann ich nun ganz praktisch meine Körperintelligenz wieder gewinnen?
Indem ich vor dem Essen, wenn es schon vor mir steht, Inne halte. Mich mit meinen Sinnen auf das Essen einstelle. Wie riecht es? Spricht mich der Geruch an? Wie fühle ich mich, wenn ich es anschaue, mich darauf einlasse? So wie es Generationen vor uns zum Tischgebet gemacht haben.

Oder Sie ziehen sich, nachdem Sie gegessen haben, für ein paar Minuten zurück, schließen die Augen und widmen Sie sich dann besonnen und in Stille den folgenden Fragen: Wie großwar meine Lust auf das, was ich gerade gegessen habe? Wie war der Geruch? War er mir angenehm? Hat mich der Geschmack angesprochen? Wie bekommt mir gerade mein Essen im Bauch? Wie ist meine Stimmung? Wer sich dieser Übung ein paar Mal hingibt, wird schnell merken, wie er von Mal zu Mal feinfühliger für den Körper wird.

Achtsamkeits- Training beim Essen also?
Auch, ja. Und doch noch viel mehr. Denn wir leben in einer Kultur die traditionell vor allem auch christlich geprägt ist. Und so geht es gemäßdem Motto: „Starkes Ich- Starkes Wir“bei uns ja letztlich seit langem schon darum, sich individuell zu entdecken und zu entwickeln- auch, wenn uns die Anbindung an diese Idee mit der Zeit vielleicht ein bisschen abhanden gekommen sein mag. Eine andere wesentliche Grundlage meiner Arbeit bilden die Ideen der humanistischen Psychologie und der Tiefenpsychologie. Auch sie bieten wundervolle Wege, die eigenen Bedürfnisse besser kennen, achten und wertschätzen zu lernen.


Über Thomas Frankenbach

Thomas Frankenbach
Aufbauend auf seinem Verständnis vom Menschen als einer Leib- Seele- Einheit, ist Thomas der Begründer der Somatische Intelligenz (SI)- Methode, mit dem Ziel, Menschen wieder besonnen an Ihr Körpergefühl und an ihre Körperintelligenz beim Essen heranzuführen.
Thomas ist Karate- Meister und berät mit seinem Gestalt- und Körperpsychotherapeutischen Ansatz weltweit Menschen in Körperwahrnehmung, Körperintelligenz und Körpersprache.
Er hat Ernährungswissenschaften sowie Psychosoziale und Integrative Gesundheitswissenschaften studiert und leitet den Fachbereich Ernährung und Bewegung in einer Klinik für Verhaltensmedizin.
Den von ihm entwickelten Ausbildungsgang zum Trainer für Somatische Intelligenz betreut er als Wissenschaftlicher Leiter und Lehrer. Zu den Themen Körperintelligenz und Körpersprache hat Thomas mehrere Bücher geschrieben.. Weitere Informationen unter www.thomas-frankenbach.de.

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