Was ist Wirklichkeit – von Lucius Werthmüller

von Basler Psi Verein

27. Januar 2015

Im Folgenden stellt Lucius Werthmüller das Sender– Empfänger Konzept der Wirklichkeit vor, das Albert Hofmann in seinem Buch Einsichten – Ausblicke dargelegt hat.

Lucius Werthmüller im Gespräch mit Albert Hofmann am «LSD-Symposium» 2006.



Was ist Wirklichkeit? Albert Hofmann sieht diese als Produkt einer Wechselbeziehung zwischen der inneren geistigen Welt und der äusseren materiellen Welt. Die äussere Welt umfasst in seiner Betrachtung das gesamte materielle und energetische Universum inklusive unserer Körperlichkeit. Als innere Welt bezeichnet er das menschliche Bewusstsein, das sich einer wissenschaftlichen Begriffsbestimmung entzieht, da man das Bewusstsein braucht, um den Begriff zu definieren. Hofmann postuliert, dass nur eine einzige äussere Welt existiert, während es so viele innere Welten gibt wie Individuen. Den Begriff der Wirklichkeit benutzt er für die Welt, die wir mit unseren Sinnen erleben. Wirklichkeit ist nicht vorstellbar ohne ein Ich, das sie als Subjekt erlebt. Sie ist das Produkt der Wechselbeziehung zwischen materiellen und energetischen Signalen aus der Aussenwelt und dem empfangenden Bewusstsein im Inneren. Fehlt entweder der Sender oder der Empfänger, kommt keine Wirklichkeit zustande.

Hofmann verdeutlicht, dass unsere Sinne nur einen sehr begrenzten Teil der Wellen aus dem elektromagnetischen Spektrum empfangen, dass z.B. unsere Augen nur einen sehr schmalen Ausschnitt aus dem elektromagnetischen Spektrum, nämlich 0.4 bis 0.7 Tausendstelmillimeter, als Licht wahrnehmen. Alle kürzeren oder längeren Wellen existieren für unser Sehorgan nicht. Innerhalb dieses kleinen Spektrums, das wir als Licht wahrnehmen, unterscheiden wir verschiedene Farben. Es ist wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass im äusseren Raum keinerlei Farben existieren, nur Wellen verschiedener Länge. Wir bezeichnen Wellen von 0,7 Mikron Länge als rot, solche mit 0,4 Mikron als blau. Es gibt aber keinerlei Möglichkeit festzustellen, ob andere Menschen das gleiche Farberlebnis haben. Denn die Farbwahrnehmung ist ein Ereignis im inneren Raum eines Menschen. Diese begrenzte Wahrnehmung gilt in gleichem Masse für unsere anderen Sinneswahrnehmungen, seien sie akustischer, geschmacklicher, geruchlicher oder haptischer Art. Es ist ein ungelöstes Geheimnis und eine grundlegende Lücke in unserem Erkenntnisvermögen, wie die vom Gehirn aus der Aussenwelt empfangenen Signale in die psychische Dimension der Empfindungen verwandelt werden.

Ein fundamentales Merkmal dieser Wirklichkeit ist ihre Begrenzung durch die schmale Bandbreite von Impulsen, auf die unser Empfänger reagiert. Hofmann illustriert seine Überlegungen mit Beispielen: Wenn unsere Augen auf Langwellen im Radiobereich reagieren würden, könnten wir in andere Länder sehen, wenn sie auf kurzwellige Röntgenstrahlen ansprechen würden, erschienen uns feste Gegenstände durchsichtig. Daraus folgt, dass unser scheinbar objektives Bild der Aussenwelt in Wirklichkeit ein subjektives ist. Wenn jeder Mensch ein eigenes Bild der Wirklichkeit hat, stellt sich die Frage nach der Wahrheit dieser individuellen Wirklichkeiten. Hofmann meint, dass alle die Wirklichkeit der Einzelpersonen repräsentieren und damit wahr sind, dies aber nicht in einem absoluten, objektiven Sinne. Die wissenschaftlich nicht zu deutende Fähigkeit, energetische und materielle Impulse in die innere Erfahrung eines lebendigen Bildes zu transformieren, haben wir mit Tieren gemeinsam. Dieses Bild der Aussenwelt wird erst zur menschlichen Wirklichkeit, wenn wir die Noosphäre, die geistige Welt, mit einbeziehen. Objektiv existiert von ihr wiederum nur Materie und Energie, Symbole des Geistes in Form von Schallwellen – dem gesprochenen Wort und der Musik – und Materie in Form von Büchern, Gemälden, Gebäuden. Die geistige Welt existiert im äusseren Raum ausschliesslich in Form von Symbolen, die im inneren Raum des Menschen, dank seiner Fähigkeit sie zu dechiffrieren, zu einer geistigen Realität werden.

Die Sender-Empfänger-Metapher enthüllt demzufolge die Tatsache, dass Wirklichkeit jeden Augenblick neu entsteht und ein dynamischer Prozess ist, das Ergebnis der kontinuierlichen Dechiffrierung der äusseren Signale in innere Erfahrungen. Die Erfahrung von Wirklichkeit, das Hauptanliegen der Mystik, entsteht also nur im Hier und Jetzt. Der prozesshafte Charakter der Wirklichkeit schafft die Zeit: ohne Wirklichkeit gäbe es keine Zeit und nicht umgekehrt. Der Anteil des Empfängers an der Wirklichkeitsbildung bringt uns das Potenzial des Individuums zum Bewusstsein: jeder Mensch ist der Schöpfer seiner eigenen Welt. In dieser Fähigkeit sich die eigene Welt zu erschaffen liegt denn auch die Verantwortung und Freiheit jedes Menschen. Wie jeder Mensch Empfänger der Botschaften seiner Mitmenschen ist, fungiert jeder auch als Sender, der seine Gefühle den Mitmenschen nur über Materie und Energie, z.B. Worte und Gesten, übermitteln kann.

     

Links: Der hundertjährige Albert Hofmann mit Katze Amadeus

Auch der eigene Körper, den wir sehen und spüren können, gehört zur Aussenwelt, ebenso unsere Sinnesorgane, die Nervenbahnen und unser Gehirn. Die elektrischen Ströme und Impulse, die Signale aus der Aussenwelt weiterleiten, sind messbare, energetische Phänomene und als solche objektivierbar und somit dem Sender zuzuordnen. Die grosse Wissenslücke ist der Übergang vom materiell-energetischen Geschehen zum immateriellen, subjektiven Wahrnehmen und Erleben, sie stellt gleichzeitig die Nahtstelle zwischen Sender und Empfänger dar, an der sie ineinander verschmelzen und sich zur Ganzheit des Lebendigen vereinen.

Dieses Bild der Wirklichkeit erscheint dualistisch, wobei die Dualität in einer transzendentalen Wirklichkeit aufgeht, wenn wir die Evolution des Menschen bis zum Ursprung zurückverfolgen. Unser Körper entsteht aus der Verschmelzung von Eizelle und Samen, die den Körpern der Eltern entstammen. Es handelt sich also bei der Zeugung um eine materielle Übertragung. Offensichtlich besteht eine ununterbrochene Verbindung mit allen Vorfahren, bis zurück zum Ursprung lebender Materie überhaupt, der Urzelle. Dieser Gedanke zeigt, dass wir auch auf der materiellen Ebene mit allen lebenden Organismen verwandt sind. Die Urzelle entstand am Anfang der Evolution aus unbelebter Materie durch eine Urzeugung. Die Grenze der leblosen Materie zur ersten belebten Zelle bildet die Grenze zwischen unserem Wissen und dem Reich der Vorstellung und des Glaubens.

Für Hofmann als Wissenschaftler scheint es unvorstellbar, dass ein so kompliziertes, im höchsten Grad organisiertes Gebilde wie eine Zelle zufällig entstanden ist. Er ist der festen Überzeugung, dass die Entstehung der Urzelle einem Plan folgte. Dieser wiederum folgte aus einer Idee und somit aus dem Geist. Ebenso kann er sich nicht vorstellen, dass das Baumaterial der Urzelle als Produkt eines Zufalls entstanden ist, da schon die Atome hochorganisierte Gebilde darstellen, einen eigentlichen Mikrokosmos. Das Atom als kleinste Einheit aller Materie und die Zelle als kleinste Einheit alles Lebendigen weisen einen ähnlichen Bauplan auf. Beide setzen sich aus dem Kern und einer Hülle zusammen, bei beiden stellt der Kern den wesentlichen Bestandteil dar. Im Atomkern sind das die Merkmale von Materie, Masse und Schwerkraft, beim Zellkern der genetische Code und die Erbfaktoren. Hofmann nimmt als Beispiel eine Kathedrale: Selbst wenn das Baumaterial, die technischen Einrichtungen und die nötige Energie vorhanden sind, entsteht ohne die Idee und den Plan eines Architekten niemals eine Kathedrale.

     

Wenn nicht einmal bei einer einzelnen Zelle eine zufällige Entstehung denkbar ist, trifft dies umso mehr auf die höheren Lebensformen zu. Für ihn ist «jeder neue lebende Organismus die Realisation, die Umsetzung eines Planes, einer neuen Idee in die Wirklichkeit.» Je differenzierter und entwickelter die Form einer Schöpfung ist, desto mehr geistiger Gehalt wird durch sie ausgedrückt. «Das menschliche Gehirn mit seinen vierzehn Milliarden Nervenzellen, von denen jede mit sechshunderttausend anderen Nervenzellen verbunden ist, stellt die allerkomplizierteste, die höchstorganisierte Lebensform in dem uns bekannten Universum dar.» Das geistige Element, welches den Geist seines Schöpfers verkörpert, hat im menschlichen Gehirn seine bisher grösste Vollkommenheit erreicht, die den Menschen befähigt, sich seiner selbst bewusst zu sein.
In Hofmanns Metapher ist das Gehirn Teil des materiellen Universums und somit des Senders. Aber der Bauplan des Gehirns ist zu jener Fähigkeit entwickelt, die er als Empfänger definiert hat.

Daraus folgt, dass Materie und Geist, Sender und Empfänger im menschlichen Gehirn verschmolzen sind. Bei anderer Gelegenheit stellt er sein Konzept in einen Zusammenhang mit seiner Entdeckung: «LSD ist die engste, dichteste, geheimnisvollste Verbindungsstelle zwischen der materiellen und der geistigen Welt. Eine kaum sichtbare Spur LSD-Materie vermag in der geistigen Welt, d.h. im menschlichen Bewusstsein, den Himmel oder die Hölle wachzurufen. »

Der Dualismus existiert also nicht in der Wirklichkeit, sondern ist nur ein Konstrukt, das Hofmann zum Verständnis der Überlegungen benutzt, wie Wirklichkeit entsteht. Jede im äusseren Raum erschaffene Form, vom Atom bis zu den Galaxien, von der Zelle bis zu den unzähligen Formen des Lebendigen, stellt die Verwirklichung einer Idee dar. Die Frage nach dem Ursprung der Idee ist die Frage nach dem Ursprung allen Seins. Für Hofmann ist eine göttliche Idee Ursprung und Träger der Schöpfung. Diese Manifestation der göttlichen Idee sendet kontinuierlich die Botschaft des Schöpfers aus. Da wir aber nur selten unsere Sinne öffnen für die Botschaft der Unendlichkeit des Sternenhimmels und der Schönheit unserer Erde mit ihren unzähligen Kreaturen, verharren wir eingekapselt in unserer engen und egoistischen Weltanschauung. Wir vergessen, dass wir ein Teil der Schöpfung sind, und dass es keine Schranken gibt zwischen Subjekt und Objekt, dass Dualismus nur eine Konstruktion unseres Verstandes ist.

Das rein intellektuelle Verstehen dieser Überlegungen führt jedoch seiner Meinung nach nicht zu einem Verständnis, das stark genug ist, unsere Weltsicht fundamental zu verändern. Dafür ist es notwendig, diese Wahrheiten in einem mystischen Zustand, einem existenziellen Erleben zu erfahren. In diesem Zustand erweiterten oder kosmischen Bewusstseins – wenn der Empfänger auf die volle Breite der Wahrnehmung eingestellt ist – lösen sich die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt, Ego und Aussenwelt auf und verschmelzen. «In einem solchen ekstatischen Zustand sind Sender und Empfänger, äussere materielle und innere geistige Welt, äusserer und innerer Raum miteinander verschmolzen, sind im Bewusstsein vereint; und so entsteht eine Ahnung von der ursprünglichen Idee, der Idee, die im Anfang war, die bei Gott war, und die Gott war.»

H.R. Giger, Albert Hofmann und Stanislav Grof am Festakt zum 100. Geburtstag



Dieses Modell der Wirklichkeit hat Albert Hofmann im Essay «Das Sender-Empfänger Modell der Wirklichkeit» in seinem Buch Einsichten – Ausblicke veröffentlicht. Die vorliegende Zusammenfassung ist eine leicht veränderte Fassung des Unterkapitels «Ein Modell der Wirklichkeit» aus dem Buch Albert Hofmann und sein LSD von Dieter Hagenbach und Lucius Werthmüller aus dem AT-Verlag.

     


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