Unverletzbar! Mirin Dajo und seine Wunder von Luc Bürgin

von Basler Psi Verein

22. Januar 2015

Der Mann war ein Wunder. Öffentlich liess er seinen Oberkörper 1947 mit einem spitzen Florett durchstechen. Ohne mit der Wimper zu zucken. Ohne dabei Schmerzen zu empfinden. Ohne dass ein Tropfen Blut floss.

Von hinten. Von vorne. Und von der Seite. Durch alle Organe. Immer und immer wieder. Seine Auftritte stellten die medizinischen Autoritäten vor unlösbare Rätsel.

Zürich, 31. Mai 1947. Variété-Direktor Hans Hubert ballt die Faust. Nach einigem Hin und Her hatte sich die Leitung der Chirurgischen Abteilung des Zürcher Kantonsspitals bereit erklärt, Mirin Dajo zu empfangen. Auf diesen Moment hatte der Theaterboss wochenlang gewartet.

Ohne Umschweife bugsiert er den verdutzten Holländer mitsamt seinen zwei Begleitern ins Auto und rast mit ihnen ins medizinische Zentrum der Schweizer Bankenstadt. Nach einem schier endlosen Fussmarsch durch die Spitalkorridore erreicht das Grüppchen gegen 16 Uhr ein kleines Auditorium der Polyklinik. Anwesend sind Ärzte vom Dienst, Professoren und Studenten. Sie erwarten wohl eine Art Messerschlucker oder Variété-Zauberer und tuscheln entsprechend herum.

Nach Rücksprache mit Direktor Professor Alfred Brunner wendet sich Hans Hubert an die Zuschauer auf der Estrade. «Mirin Dajo wird sich nun von seinem Freund ein rund 80 Zentimeter langes und 6 Millimeter dickes Florett durch den Körper stechen lassen», verkündet er verheissungsvoll – und erntet dafür freundliche Zweifel. «Wird denn dieses Florett vor der Prozedur auch entsprechend desinfiziert?» will einer der Anwesenden verlegen wissen. «Nein», schüttelt Hubert den Kopf. «Das wird absichtlich nicht der Fall sein.»
Dajo steht stumm in der Mitte des Raumes – mit entblösstem Oberkörper. Ehe sich die Zuschauer versehen, tritt sein Assistent hinter ihn und rammt ihm die Waffe mit voller Wucht von hinten durch den Leib, auf Höhe der Niere.

Totenstille. Mit offenem Mund beäugen Studenten und Mediziner den Holländer. Ohne Zweifel: In seinem nackten Oberkörper steckt ein Florett, das auf der Vorderseite mehr als eine Handbreite herausragt! Noch dazu fliesst kein einziger Tropfen Blut. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Dajo durchbricht die Stille – und beginnt mit ruhiger Stimme zu sprechen, samt Waffe im Körper: «Sehen Sie, ich bin unverwundbar, und dass ich unverwundbar bin, weiss ich seit zwei Jahren. Allerdings habe ich schon lange Zeit vorher auf dieses Ziel hin trainiert. Aber vor zwei Jahren bog sich eine allzu elastische Waffe bei einem Lungendurchstich ab und fuhr mir quer durch das Herz. Seither habe ich die absolute Gewissheit, dass ich unverwundbar bin.»

Etwas unsicher ergreift jetzt auch Professor Brunner das Wort: «Herr Dajo, wären Sie wohl so nett, sich einer Röntgenaufnahme zu unterziehen – samt der Waffe?» Dajo nickt freundlich. Brunner zögert, überlegt einige Sekunden. «Würden Sie uns bitte zu Fuss ins Röntgenkabinett folgen?» Der Holländer nickt erneut: «Selbstverständlich.»

Es muss ein merkwürdiger Anblick gewesen sein: Wie ein Geisterzug bewegt sich die Menschengruppe durch die Korridore des Spitals. Vorneweg marschiert Mirin Dajo, mit der Waffe im Leib, dahinter die Professoren und am Schluss die Studenten, die fassungslos miteinander tuscheln. Unter den Augen von entsetzten Krankenschwestern und verdutzten Patienten geht es über mehrere Treppen in den Röntgenraum, wo bereits alles vorbereitet ist.
Der Mann im Röntgenzimmer ist nervös wie noch nie. Mit zittrigen Händen richtet er die Apparaturen ein.

Und das Wunder ist perfekt: Die Röntgenaufnahmen belegen, dass die Waffe lebenswichtige Organe durchbohrt hat. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel. Wie oft er sich schon durchstechen liess, will einer von ihnen wissen. «Hunderte Male», lächelt Mirin Dajo bescheiden. Seine Freunde nicken bestätigend. Verstört schütteln die Ärzte ihre Köpfe. Zwanzig Minuten später wird der Spiess aus Dajos Körper herausgezogen. Erneut fliesst kein Tropfen Blut. Der Holländer lächelt, zieht sich wieder an und genehmigt sich mit seinen Begleitern in einer nahe gelegenen Bar ein kühles Bier.
In dicken Lettern berichten die Zeitungen in den folgenden Tagen über das «Wunder Mirin Dajo». Wie die Zürcher Journalisten notieren, wurde bei der Durchbohrung «zweimal das äussere Bauchfell (Peritonaeum parietale), die Niere, der Magen oder Darm und sehr wahrscheinlich die Leber» durchstossen. Die Beobachter weiter: «Bei einem normalen Menschen wäre dieser Durchstich vollkommen unmöglich auszuführen. Angenommen, dieser Durchstich durch den Körper würde trotzdem bei einem normalen Menschen gelingen, so würde selbst bei sterilen Instrumenten, trotz sofortiger Penicillin- und Chirurgie-Behandlung unweigerlich der Tod eintreten, infolge einer Bauchfellentzündung, entstanden durch den Anstich des Magen-Darmkanals.»

Doch die Fachleute äussern auch Bedenken, wie die Basler «Nationalzeitung» ergänzend notiert: «Alle medizinischen Autoritäten stehen vor einem Rätsel. Sie können sich das Wunder nicht erklären. Die Ärzte sind indessen voller Bedenken. Wenn auch das Experiment wiederholt gelungen sei, müsse man doch mit einem plötzlichen Zwischenfall und dem Tod des Durchbohrten auf der Bühne rechnen. Und da die Spiesse nicht desinfiziert werden, müsse man auch die Gefahr von Vergiftung in Betracht ziehen.»

Wer war Mirin Dajo überhaupt? Ein Hochstapler? Ein Fakir? Ein Guru? Ein Zauberkünstler? Nichts von alledem. Arnold Gerrit Johannes Henskes – so sein wirklicher Name – kam am 6. August 1912 in Rotterdam als Sohn des Postbeamten Dirk Arnold Willem Henskes und der Pfarrerstochter Cornelia Margaretha Vrijer zur Welt. Als ältester von vier Söhnen wuchs er als ganz normales Kind auf. Nach der Schulzeit erwarb er das Diplom als Reklamezeichner und war bis zum Einmarsch der Deutschen als Grafiker in Rotterdam tätig.

In diesen Jahren plagten den jungen Holländer zunehmend Zweifel über seinen Lebensweg. Irgendetwas unterschied ihn von seiner Umwelt. Seit seiner frühesten Kindheit sah er Dinge, die andere nicht sahen. Fühlte mehr als er wusste. Ahnte, was erst noch kommen sollte. Und: Er hatte ein äusserst kurioses Verhältnis zu seinem Körper. Bereits als kleiner Bub hatte er seine Mutter schockiert, als sie eines Morgens jede Menge Sicherheitsnadeln in seinem Arm entdeckte. Ohne die geringste Spur von Schmerz hatte er sie sich eigenhändig durch die Haut gespiesst. 1937 verschluckte Arnold einem inneren Trieb folgend schliesslich eine Handvoll langer Nägel. Im Spital wurden die Fremdkörper operativ entfernt – ohne gesundheitliche Folgen. Ein Experiment, das ihn prägen sollte...

Ob Kaffeehäuser oder Nachtclubs: Ab 1946 war Mirin Dajo kein Lokal zu schade, um mit seinen Körperexperimenten auf sich aufmerksam zu machen. Mal liess er sich von diesem, mal von jenem Kollegen durchstechen. Auch wenn er dabei oft wie eine Jahrmarktsattraktion herumgereicht wurde, glaubte er doch auf dem richtigen Weg zu sein. Er war anders, und endlich konnte er einen Teil davon ausleben – zugunsten seiner Mission. «Mein Ziel ist ziemlich einfach zu umreissen», predigte er jedermann, der es hören wollte. «Es heisst: Vollständiger Frieden, ohne dass man Angst zu haben braucht, dass wieder ein Krieg kommt. Um Gleichgesinnte zu werben, lasse ich meinen Körper durchstechen – zum Beweis, dass man im unerschütterlichen Glauben an Gott unmöglich scheinende Dinge vollbringen kann.»

Der Holländer ahnte, dass er im Ausland mehr erreichen konnte. Grund genug, seine Künste über die Landesgrenzen auszudehnen. Auf Einladung des Zürcher Theaterdirektors Hans Hubert startete seine Tournee in der Schweiz – «im Land des Friedens», wie er zu sagen pflegte.

Zürich, 3. Juni 1947. Hans Hubert reibt sich freudig die Hände. An diesem Abend startet auf seiner Zürcher Variété-Bühne ein neues Programm – mit Mirin Dajo als Hauptattraktion.
Die medizinische Untersuchung im Vorfeld der Veranstaltung sichert Hubert gegen den Vorwurf ab, seine Zuschauer an der Nase herumzuführen.

Die Werbung zeigt Wirkung: Das Publikum strömt in Scharen ins Theater. Und wird Zeuge wie Dajo alle Register seines Könnens zieht. Stoisch lässt er sich von seinem Assistenten Johnan mit einem ellenlangen Stilett die Oberarmmuskeln durchstechen. Dann wird ihm in der Lendengegend – wie bereits vor den Zürcher Ärzten – ein rund sieben Millimeter dickes Florett durch Rücken und Bauch gespiesst. Erneut fliesst kein Tropfen Blut. Eine Besucherin kreischt entsetzt auf – und fällt in Ohnmacht.

Die Waffen werden wieder entfernt. Doch der Clou folgt erst jetzt. Denn Dajo weiss um die Skepsis seiner Zuschauer. Also lässt er sich erneut durchspiessen. Mit drei hohlen Floretten, an deren Griffen Schläuche angebracht sind. Die Spitzen der Waffen werden aufgeschraubt. Eine Pumpe leitet Wasser durch die Rohre, so dass es auf Brustseite herausspritzt. Mit unbeweglicher Miene beobachtet Dajo das kuriose Schauspiel. Ein lebender Brunnen! Das Publikum tobt...

Will man Wissenschaftler von Wundern überzeugen, müssen sie jederzeit reproduzierbar sein. Da nützte es auch nichts, dass er sein Können bereits vor der Zürcher Ärzteschaft unter Beweis gestellt hatte: Auch im Basler Bürgerspital will man den «Unverletzbaren» untersuchen. Für die wissenschaftliche Untersuchung am 15. September 1947 zeichnen erneut namhafte Mediziner verantwortlich. Alles wird minutiös protokolliert.

Assistent Johnan schreitet zur Tat – und sticht mit unbewegter Miene zu. Auch die Basler Mediziner schütteln fassungslos die Köpfe. Misstrauisch betasten sie die spitze Klinge. Was sie mit eigenen Augen sehen und mit ihren Geräten messen, ist mehr als erstaunlich.

Doch Mirin Dajo bleibt bescheiden. Ohne Geld dafür zu nehmen, heilt er in der Schweiz weiterhin Kranke, nimmt in eindrücklichen Vorträgen vorweg, was uns Esoteriker heute lehren und predigt den Glauben an das Göttliche in uns, ohne je zu missionieren. Bis zu seinem mysteriösen Tod (siehe Infokasten) Ende Mai 1948 gelingt es ihm immer wieder, seine Freunde aufs Neue zu verblüffen. Mal joggt er mit einem Florett im Leib auf dem Zürcher Uetliberg. Mal lässt er sich, wie in Bern, mit einem 2,5 Zentimeter breiten Schwert durchstechen.

«Was ich hier deutlich zu machen versuche, sind uralte, aber meist nur im Verborgenen verkündete Erkenntnisse», betonte der Holländer immer wieder. «Ich spreche in aller Öffentlichkeit davon, weil ich den Augenblick dazu für gekommen erachte und die Wahrheit meiner Worte durch Taten beweisen kann.»

Luc Bürgin hält am Do, 14. Oktober um 19.30 Uhr an der Neuweilerstrasse 15 in Basel einen Vortrag mit dem Titel: Das Wunder Mirin Dajo – Neue Erkenntnisse über den «unverletzbaren» Heiler. 


Diesen Artikel teilen

Aktuelle Veranstaltungen zu diesen Themen

Kategorien

Transformation

Direktlink