Masken - ein Interview mit Bertold Ulsamer

von Basler Psi Verein

23. Januar 2015

Bertold Ulsamer ist promovierter Jurist und Diplom-Psychologe. Er arbeitete als Psychotherapeut, spezialisierte sich dann auf NLP und war damit 15 Jahre als Managementtrainer tätig.

Danach verlegte er sich auf die Aufstellungsarbeit. Sein Schwerpunkt sind internationale Fortbildungen. Im Management arbeitet er als Berater, Coach und Trainer. Bertold Ulsamer ist Autor von 24 Büchern zu den Themen Kommunikation, Selbstmanagement und Aufstellungsarbeit.

Website: www.ulsamer.com


Du hast als Seminarthema «Den Kampf mit sich selbst beenden – innere Kraft und Frieden finden» Wie kommst Du zu diesem Thema?
Es gibt einfach so viele Spannung heute. Überforderung, Erschöpfung, Depression, Burnout sind Massenphänomene. Die Geschwindigkeit in der Gesellschaft wächst ständig an. Aber dabei sind wir nicht nur Opfer dieser Entwicklung, sondern wir treiben sie selbst voran. Wie innen, so aussen. Die Kriege aussen spiegeln die inneren wider. Nur wenn wir nach innen zu unseren Spannungen schauen und hier etwas verändern, können wir auch äusserlich mehr in Frieden kommen. Heute geht es darum, den eigenen Weg zu finden. Die moderne Zeit zwingt uns zu dieser Suche und zur Selbsterforschung. Das ist der Segen daran.

Was ist Dein praktischer Ansatz?
Jeder von uns trägt viele unterschiedliche Anteile in sich, die sich meist als uns vertraute Stimmen äussern, die tagtäglich in unserem Kopf flüstern, sprechen oder schreien. Da gibt es Stimmen, die uns kritisieren, uns antreiben, uns verurteilen oder auch loben. Was wir denken nennen, sind oft die Dialoge innerer Teile.

Wir reagieren auf diese Stimmen, fühlen uns schuldig oder schlecht und strengen uns noch mehr an. Das ist ein vertrauter Teil unserer Persönlichkeit. Sie bestimmt einen Grossteil unseres Lebens. Wenn wir uns näher mit den Anteilen befassen, stellt sich heraus, dass jeder davon so etwas wie einen eigenen Charakter und eine eigene Persönlichkeit besitzt. Manchmal unterdrückt eine Teilpersönlichkeit eine andere, manchmal bekämpfen sich zwei oder mehr oder boykottieren sich. Wir haben viele Schichten. Dabei gibt es Kernthemen, die von Schicht zu Schicht massiver, intensiver und archaischer werden. Im Seminar geht es darum, wichtige Teile näher kennen zu lernen, sie besser zu verstehen und anzunehmen.

Dann fangen sie an mehr zu kooperieren, so dass wir unsere Kraft nicht mehr zersplittern, sondern sie einsetzen können zum Nutzen von uns und anderen. Ausgangspunkt sind dabei konkrete Konflikte und Probleme in unserem Alltag. Jede einzelne der inneren Stimmen («das machst du schon wieder falsch!») kann zur Tür werden in unsere eigene Tiefe, in einen Keller, in dem viele Stufen nach unten führen.

Du arbeitest also mit inneren Anteilen. Diese Arbeit gibt es doch schon lange. Hast Du da irgendetwas Neues?
Die Arbeit mit Teilen ist keine neue Richtung in der Psychotherapie. Schon das Psychodrama vor über 70 Jahren begann damit, später kamen Transaktionsanalyse, Gestalttherapie und NLP dazu. Die wohl erste Spezialisierung war der Voice Dialogue. Zurzeit breitet sich dieser Ansatz im therapeutischen Feld als Ego-States-Therapie weiter aus. Ich finde insbesondere bereichernd den Ansatz von Richard C. Schwartz, den er das System der inneren Familie (IFS) nennt. Denn hier gibt es klar auch eine spirituelle Ausrichtung. Ich habe zu diesen Theorien keine neuen originellen Ansätze entwickelt. Für mich ist das Wichtige, wie ich solche Einsichten in der Arbeit mit Menschen umsetze. Wie kann ich einen Raum schaffen, in dem der Einzelne die nächsten Schritte in seinem Wachstum gehen kann? Dabei nutze ich meine Erfahrung aus über 35 Jahren therapeutischer Arbeit, insbesondere auch aus den Aufstellungen.

Was kann ich mir unter dem Spirituellen vorstellen?
In der Arbeit mit den eigenen Teilen kannst Du immer mehr in die Tiefe gehen, bis Du einen inneren Raum von Liebe, Akzeptanz und Stille, jenseits von Beurteilung und Verurteilungen erreichst. Das ist so etwas wie Dein Kern. Vielleicht mache ich Dir den möglichen Weg deutlich an einem Anteil, den Du nicht schätzt.

Okay, auch wenn das jetzt nicht originell ist: Ich ärgere mich sehr über dumme Fehler, die ich manchmal mache.
Gut, mit dem Ärger als ersten wichtigen Teil bist Du in Kontakt. Wichtig ist die Einsicht: Kein Teil ist Dir im Grunde feindlich gesinnt, auch wenn es manchmal so wirkt. Alle haben eine gute Absicht. Welche gute Absicht könnte der Ärger haben?

Er will, dass ich keine solchen Fehler mache.
Genau. Wenn wir die gute Absicht sehen, werden wir freundlicher zu einem solchen Teil. Dadurch entspannt sich etwas. Und irgendwann kann dieser Teil zur Seite gehen und ein anderer Teil darunter taucht auf. Bei Deinem Thema könnte es die Empfindung sein, dumm zu sein. Das ist dann so unangenehm, dass wir es normalerweise nicht spüren wollen. Oft stammt das Gefühl aus einem bestimmten Alter.

Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Gefühl im Alter von zwei bis drei Jahren entstanden ist.
Auch solche frühen Teile haben eine gute Absicht, die erst einmal nur schwer zu erkennen ist. Deswegen braucht es Zeit, das zu erforschen. Aus meiner Erfahrung entsteht das Gefühl von «dumm» im Kontakt mit jemand, meistens mit der Mutter oder dem Vater. Das Kind hat etwas getan, das den Eltern nicht gefällt und sie sind ärgerlich. Wenn es protestieren würde, bekäme es Schwierigkeiten. Wenn es sich dumm fühlt oder stellt, dann behält es den Kontakt. Und das ist für ein Kind lebensnotwendig.

Das macht Sinn.
Aber auch darunter gibt es weitere Teile. Der nächste könnte der kindliche Protest sein und der Ärger über die negativen Eltern. Wieder darunter ist der Schmerz darüber, nicht genug gesehen oder akzeptiert zu werden. All diese Seiten in uns brauchen unsere Würdigung und unser Verständnis. Stell Dir mal vor, Du wärst an diesem Punkt – was taucht darunter auf?

Eigentlich nichts mehr. Jetzt ist alles gut so im Moment. Irgendwie friedlich.
Das ist der Raum von Akzeptanz und Liebe, den ich gemeint habe. Er ist hinter all unseren Teilen, ganz unspektakulär.

Entdecken wir auf diese Weise unser wahres Ich? So dass wir uns lösen können von einem vielleicht falschen Leben?
Da habe ich Bedenken. Meiner Auffassung nach führen diese Ideen leicht in die Irre. Mein wahres Ich ist immer gerade das, das ich lebe. Wenn ich mich z.B. am Arbeitsplatz anpasse oder in Beziehungen irgendwelche Wünsche und Bedürfnisse unterdrücke, dann deshalb, weil es einen ängstlichen Teil in mir gibt, der sich anpasst. Dieser Teil ist ganz früh entstanden, um mein Überleben zu sichern. Und ihm verdanke ich sehr viel. Beim Kennenlernen dieses Teils tauchen alte Ängste auf und alte Schmerzen, aber auch viel Lebendigkeit. Wenn ich einen solchen Teil mehr annehme, dann höre ich auf, mich deshalb zu verurteilen oder ihn zu bekämpfen. Ich werde liebevoller zu mir selbst. Gleichzeitig kann ich anfangen zu schauen, ob die alten Ängste auch heute noch für mich als Erwachsenen wirklich Substanz haben. Wenn ich mich aufspalte in ein «wahres» Ich und in ein «falsches» Ich, das ich ablehne, dann verhindere ich dadurch, mich wirklich kennen zu lernen. So kann ich mir weiter viel über mich vormachen. Denn da gibt es kein «wahres» Ich, mit dem ich mutig mein Ding durchziehe und ein «unwahres», mit dem ich mich anpasse – nein, ich bin ein widersprüchliches Ganzes und alles gehört zu mir und alles hat seinen Sinn.

Eine letzte Frage: Eigentlich hast Du doch hauptsächlich Familienaufstellungen gemacht. Wie kommst Du zu dieser Arbeit?
Mir gefällt an der Arbeit mit Teilen, dass wir ganz von unserer aktuellen Situation ausgehen und nur das, was dabei in uns im Moment abläuft, von Bedeutung ist. Ich nehme für mich ab und zu bei einer Kollegin eine Stunde, in der ich gezielt die Teile bei einem Thema von mir erforsche. Vom Chaos am Schreibtisch angefangen über Schwierigkeiten mit einem Kollegen bis hin zu Gefühlen in meiner Beziehung. Das ist sehr zielgerichtet und immer hilfreich. Manchmal tauchen dabei auch familiäre Themen auf, aber nicht so oft. Manchmal ist der Blick in die Vergangenheit, auch zurück zur Familie notwendig, aber ich finde es gut, wenn das nicht zu einem automatischen Muster wird. In diese Arbeit mit Teilen kann ich alles, was ich bisher gemacht habe, integrieren. Zum Beispiel werden wir im Seminar zwischendurch auch Teile aufstellen um so mehr in Kontakt mit ihnen kommen. Ich freue mich auf diese Forschungsreise.


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