Esoterikerin in der EU-Kommission?

von Basler Psi Verein

05. Dezember 2014

Ein Kommentar von Lucius Werthmüller

Jean Claude JunkerUnter dem Titel «Umstrittene Kommissionskandidatin: EU-Abgeordnete wollen Junckers Schamanin «einweisen» lassen» berichtete Spiegel online über die von Jean Claude Juncker für die EU-Kommission nominierte Kandidatin Violeta Bulc aus Slowenien und die Reaktionen darauf.

Der Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul äusserte laut Spiegel offene Kritik an Bulcs bekannt gewordenen esoterischen Interessen - und zürnte, diese Dame würde er in seinem eigenen Haus keine Stunde allein lassen, «wer weiß schon, was sie dort anstellt». Reul meinte laut Spiegel sogar, eventuell müsse man Bulc ja «einweisen» lassen.

Violetta BulcDa verschlägt es mir – zum Glück nur kurzfristig – die Sprache. Da hört einer von esoterischen Interessen und führt sich so auf, wie wenn Frau Bulc satanistische, pädophile, kleptomanische oder sonstige kriminelle oder pathologische Neigungen zur Last gelegt würden. Wohin man sie einweisen lassen müsste, präzisiert er nicht, vermutlich schwebt ihm eine Psychiatrische Klinik vor. Ist Frau Bulc Mitglied einer totalitären Sekte? Hat sie sich etwas zuschulden kommen lassen? Der schlimmste Vorwurf ihrer Gegner ist anscheinend, dass sie über Feuer gegangen ist und dies in ihrem Blog als eine kosmische Erfahrung beschrieb «die sie dabei tief innen verspürte». Weiter wird ihr zur Last gelegt, dass sie schamanische Kurse besucht hat.

Ich kenne Frau Bulc nicht, ich kann weder ihre politische Haltung noch ihre Eignung für dieses Amt beurteilen. Aber das interessiert mich in diesem Fall nicht, denn es geht um etwas völlig Anderes. Auch wenn wir annehmen, dass Herr Reuls Äusserungen unbedacht gewesen sind, offenbaren sie eine gefährliche totalitäre Grundhaltung. Zum Glück sind die Zeiten vorbei, in denen man Leute aufgrund anderer politischer Ansichten, anderen Lebenseinstellungen einweisen lassen konnte, Zeiten in denen uneheliche Kinder ihren Müttern wegen „unmoralischen Lebenswandels“ weggenommen wurden und man Homosexuelle oder Menschen mit unüblicher sexueller Präferenz einsperrte oder sie «heilen» wollte.

Worauf gründet sich Herr Reuls Aussage? Ich vermute auf die von seiner Partei in die Diskussion gebrachte, sogenannte «christlich-abendländische Werteordnung». Es gab Zeiten, in denen in unserer christlich-abendländischen Werteordnung solche Leute nicht eingewiesen, sondern als Hexen verbrannt wurden. Als christlicher Politiker glaubt er vermutlich an allerhand seltsame „esoterische“ Dinge wie an die jungfräuliche Geburt Jesus, dass dieser Wasser in Wein verwandelte, Tote erweckte und weitere Dinge, die man in anderem Zusammenhang als dem christlichen Glauben unbesehen der Esoterik zuordnen würde.

Der Spiegel, der solche Dinge unkommentiert wiedergibt, würde sich wohl eher auf die Aufklärung und unseren rationalen Verstand berufen. Wir sind heute doch so tolerant! Wir kämpfen gegen Sexismus, Rassismus und Diskriminierung. Wir leben in einer Zeit der Political Correctness. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird betont, dass man nicht alle Muslime wegen einiger Fundamentalisten diskriminieren dürfe, wir sind zurecht empört wenn gegen Juden polemisiert wird, wenn Homosexuelle diskriminiert werden und Ähnliches mehr. Dies alles zum Glück und zu Recht!

Aber weshalb sind solch verletzende Äusserungen über eine Frau salonfähig und fallen überhaupt niemandem auf? Es gibt anscheinend neuentstandene, gesellschaftlich akzeptierte Vorurteile, Denkverbote und Diskriminierungsversuche. Die «Esoteriker» gibt es als homogene Gruppe gar nicht – deshalb verfügen sie auch über keine Lobby. Der Begriff wird gerne verwendet für alle die angeblich nicht recht bei Verstand sind. Man denke daran wie der verstorbene FDP Politiker Jürgen Möllemann angefeindet wurde, als er sich für den deutschen Heiler Rolf Drevermann stark gemacht hat. Dieser wurde in Deutschland so erbarmungslos von der Staatsanwaltschaft verfolgt, als sei das Handauflegen eine kriminelle Tat. Die Unterstützung des damaligen Wirtschaftsministers Jürgen Möllemann half Drevermann nicht, im Gegenteil: Der Heiler musste Deutschland verlassen, der Minister seinen Hut nehmen.

Ein aktuelles Beispiel ist der Umgang der Medien mit dem deutschen Psychologen und Wissenschaftstheoretiker Harald Walach, der seit 2010 das Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften IntraG an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) leitet. Das von ihm geleitete Institut stand wiederholt mit polemischen Vorwürfen von Esoterik in der Kritik der Presse und der Skeptikerbewegung.

Es gibt eine unheilige Allianz aus Journalisten, Skeptikerverbänden wie der GWUP, Wissenschaftlern und auch Kirchenvertretern die gegen die «Esoteriker» zusammenspannen. Erstaunlicherweise schiessen die meisten nicht scharf gegen die Kirchen und etablierte religiöse Organisationen, sondern konzentrieren sich auf Esoteriker und Parapsychologen. Der Einfluss der Skeptiker-Organisationen auf die Medien – auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten – ist gross.

Der Begriff «Esoterik» hat etwas Anrüchiges und wird meist abwertend verwendet. In den Topf der Esoterik wird alles hineingepackt und -projiziert, was nicht – oder noch nicht – rational erklärbar ist: von Homöopathie bis Tischerücken, vom Channeling bis Familienstellen. Für viele Menschen ist «Esoterik» das, was sie ausserhalb der Hauptsendezeiten beim Zappen auf einigen Fernsehsendern zu sehen bekommen: Hellseherinnen und Astrologen, die um zahlendes Publikum buhlen, die wundertätige Amulette anpreisen, die vollmundig Partnerzusammenführungen versprechen und dergleichen mehr. Die Art der plumpen Anmache, die neonfarbig eingeblendeten Tarife und Telefonnummern ähneln stark der nachts auf Privatsendern ausgestrahlten Schmuddelwerbung für Telefonsex. Ähnlich sieht das Bild aus bei den Kleinanzeigen in Boulevard-Blättern. Solche kommerzielle Vulgäresoterik prägt die öffentliche Wahrnehmung. Dieses undifferenzierte Bild hat sich bis in Wissenschaftssendungen durchgesetzt, in denen es gang und gäbe ist, von «Esoterikgläubigen» zu sprechen, auch wenn parapsychologische Fragestellungen zur Debatte stehen. Seit dem 20. Jahrhundert wird der Begriff meist abwertend verwendet: «esoterisch» hat oft die Bedeutung «geheimnistuerisch», «weltfremd» oder «wissenschaftsfeindlich». Im besten Fall ist Esoterik heute ein Sammelbegriff für eine unüberschaubare Vielzahl von Techniken und spirituellen Lehren.

Wie andere missbrauchte Begriffe lässt sich «Esoterik» kaum mehr retten. Deshalb zum Abschied eine kurze Klärung dieses eigentlich sinnvollen, treffenden Begriffs. «Esoterik» stammt vom griechischen «esoterikos» ab und bedeutete in der Antike «innerlich, dem inneren Kreis zugehörig». Es handelte sich um Geheimlehren, die nur Eingeweihten zugänglich waren. Anschaulich und sinnstiftend war seine Verwendung als Gegensatz zur «Exoterik». Darunter versteht man ein Religionsverständnis, das nach aussen gewandt ist. Gott wird nicht in einem selbst gesucht, sondern als eine externe Instanz angesehen. Dementsprechend wichtig sind rituelle Handlungen und die buchstabengetreue Auslegung religiöser Schriften. «Heilige» Texte sind nicht exoterisch oder esoterisch, sondern sie werden so oder anders gedeutet. Carl Gustav Jung bezieht «esoterisch» auf die tieferen, inneren Geheimnisse der Religion im Unterschied zu deren äusseren, exoterischen Dimensionen. Wie wir täglich sehen können, bilden solche Dogmen den Nährboden für Fundamentalismus und Fanatismus – und nicht etwa eine esoterische Betrachtungsweise. 


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